Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn das eigene Gericht mit mehreren Hundert Klagen geflutet wird. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn die eigene Kammer absäuft, weil sich ihr Bestand binnen weniger Wochen verdoppelt. Ich habe all das als Richter selbst erlebt. Wie es mir ergangen ist, ergeht es immer mehr Richtern. Dieselskandal, Fluggastrechte, Cum-ex, Wirecard, Air Berlin: Die Liste der Massenverfahren wird immer länger, und die Hilferufe aus unserer Justiz werden immer lauter. Bereits im Oktober 2021 schrieben Richter vom Landgericht Augsburg einen dramatischen Brandbrief: Die „Klageindustrie“ und deren „Verfahrensflut“ mache aus ihrem Gericht einen „reinen Durchlauferhitzer“ und aus ihnen selbst „Urteilsroboter“. „Permanente Überstunden und 7-Tage-Wochen“ zermürbten. Der „Kipp-Punkt“ sei längst erreicht. Doch dieser Hilferuf ist wie so viele verhallt. Ja, die Bundesländer haben die Dramatik der Lage längst erkannt. Seit anderthalb Jahren fordern sie das Bundesjustizministerium unermüdlich zum Handeln auf. Und ich bin auch Ihnen, Herr Staatsminister Poseck, sehr dankbar für den Einsatz, den Sie hier zeigen. Aber nein, im Bundesjustizministerium ist seitdem nichts, aber auch gar nichts passiert – wie so oft und wie allzu oft in dieser Ampelkoalition. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute auf Antrag der CDU/CSU-Fraktion über eines der drängendsten Probleme der deutschen Ziviljustiz beraten. Herr Kollege Brandner, der Antrag ist nicht annähernd so flach wie die Rede, die Sie heute hier gehalten haben. Die Vorschläge für die Lösung dieses Problems, die liegen ja auch auf dem Tisch. Es ist vielfach angesprochen worden: Der Deutsche Richterbund hat bereits im Mai 2022 Vorschläge auf den Tisch gelegt. Doch bei Ihnen sind sie anscheinend unter dem Tisch in der „Ablage P“ gelandet; denn zustande gebracht haben Sie seitdem nichts. Deshalb ist es wichtig, dass wir das heute diskutieren; denn es liegt an uns als Gesetzgeber, endlich mutige, endlich kluge Entscheidungen zu treffen, wie Massenverfahren besser bewältigt werden können. Das sind wir unseren Gerichten, das sind wir unseren Richtern, das sind wir vor allem unserem Rechtsstaat schuldig. Drei Punkte sind dabei – auch aus meiner ganz persönlichen Erfahrung als Richter – zentral. Erstens. Massenverfahren müssen schneller durch die Gerichtsinstanzen. Heute werden Hunderte oder gar Tausende Verfahren oft über mehrere Jahre von der ersten in die zweite und in die dritte Instanz geschleust, bis sie abschließend entschieden werden. Diese Zeit müssen wir verkürzen. Wir müssen Massenverfahren frühzeitig aus der ersten Instanz heraus in die dritte Instanz bringen und dort klären lassen, und zwar auch, wenn sie kurz vor dem Termin wegverglichen werden. Zweitens. Massenverfahren dürfen nicht ganze Gerichtsinstanzen lahmlegen. Hunderte oder Tausende Verfahren müssen heute erst in der ersten, dann in der zweiten und schließlich in der dritten Instanz bearbeitet, verhandelt und entschieden werden. Die Akten werden immer dicker, ohne neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Verfahrensflut müssen wir stoppen. Wir müssen der ersten und der zweiten Instanz ermöglichen, parallele Verfahren bei Massenverfahren bis zur abschließenden Klärung durch die dritte Instanz auszusetzen. Frau Kollegin Helling-Plahr, das ist heute nicht möglich. Drittens. Massenverfahren dürfen Gerichtsinstanzen nicht zu reinen Einnahmequellen machen. Hunderte oder gar Tausende Verfahren werden heute oft von denselben Anwälten vor die Gerichte gebracht. Die Klageschriften werden binnen Minuten nach dem Prinzip „Copy-and-paste“ aus vorgefertigten, seitenlangen Textbausteinen ohne Bezug zum Einzelfall erstellt. Und für Hunderte solcher Massenklagen erhält der Anwalt am Ende trotz des viel geringeren Aufwands dasselbe Geld wie für Hunderte ganz verschiedene Klagen. Das kann nicht richtig sein, das ist nicht richtig, und deshalb müssen wir diese Gebührenschinderei endlich beenden. Und dass ausgerechnet, Frau Kollegin Bünger, Die Linke sich hier hinter diese Klageindustrie stellt, das spricht Bände. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört aber auch: Zur besseren Bewältigung von Massenverfahren braucht es eines: mehr Personal. Deshalb war es gut, dass die unionsgeführte Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode den Pakt für den Rechtsstaat geschlossen hat. Deswegen war es gut, dass die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat, diesen Pakt zu verstetigen. Deswegen war es gut, dass die Kollegen Karaahmetoğlu und Steffen sich heute ausdrücklich dazu bekannt haben. Und deswegen ist es umso unverständlicher, dass das nicht der Bundesjustizminister, das Bundesjustizministerium und die FDP tun. Heute wäre ein guter Zeitpunkt, eigene Vorschläge vorzulegen. Das haben Sie wieder nicht getan. Nehmen Sie die Hilferufe aus der Justiz endlich ernst. Legen Sie endlich eigene Vorschläge vor. Das sind auch Sie unseren Gerichten, unseren Richtern und unserem Rechtsstaat schuldig.