Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Partnerstadt meiner Heimatstadt Bochum ist Donezk, und ich habe den Deutschen Bundestag bei der Wahl während der Orangen Revolution in der Ukraine vertreten. Deshalb möchte ich hier mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, mit einem Zitat beginnen: Ich möchte dem Bundeskanzler danken für sein Leadership und sein standhaftes Engagement in unseren gemeinsamen Anstrengungen zur Unterstützung der Ukraine. Deutschland hat richtig aufgestockt. Der Kanzler ist eine starke Stimme für einheitliche und enge Freundschaft. – Joe Biden, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Genau so ist es, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt ein Zweites, das genauso wichtig ist: Wir haben in diesem Jahr des schrecklichen Krieges den gesellschaftlichen Zusammenhalt hinbekommen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt zeigt sich darin, dass aus einer Bevölkerung, bei der es in der Frage, ob man Waffen liefern soll oder nicht, fifty-fifty steht, dann, als wir erstmals vor diese Frage gestellt worden sind und gehandelt haben, eben nicht Hunderttausende auf die Straße gegangen und „Kriegstreiberei“ oder Ähnliches geschrien haben, sondern es in ihr mehrheitlich Zustimmung für die Politik dieses Bundeskanzlers gibt; und das ist auch gut so. Aber ich weiß, dass es auch Kritik gibt. Deshalb habe ich auch ein weiteres Zitat mitgebracht und trage es wieder mit Genehmigung des Präsidenten vor: Seine Michael Brand, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, „Fuldaer Zeitung“ vom 25. Januar. Das war derselbe Tag, als Joe Biden seine oben zitierte Erklärung abgegeben hat. Dazu kam von Ihnen öffentlich kein Widerspruch, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, und das ist völlig unakzeptabel in diesem Haus. Aber für einen Bundeskanzler gibt es in schwierigen Situationen manchmal einen geschichtlichen Trost. Ich bin sehr lange dabei und erinnere mich daran, dass Willy Brandt wegen seiner Entspannungspolitik von der Union beschimpft worden ist mit Worten wie „Verräter“. Ich erinnere mich an Wahlkämpfe in den 80er-Jahren gegen Helmut Schmidt: „Freiheit statt Sozialismus“. Ich weiß auch noch sehr genau, wie die Ablehnung des Irakkrieges durch Kanzler Gerhard Schröder in Amerika intoniert wurde: Dieser Kanzler spricht nicht für Deutschland. – In all diesen Fällen – bei Willy Brandt, bei Helmut Schmidt, bei Gerhard Schröder und jetzt bei Olaf Scholz – hat sich die Union geirrt. Das muss man in Bezug auf die Geschichte und aktuell sagen: Die Union lag falsch, und die Union wird wieder falschliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es gibt ein anderes europäisches Problem, das ansteht und das hier konsequent verschwiegen wird, nämlich die teilweise Ausgrenzung Ihrer Parteienfamilie nach rechts und rechts außen. Manfred Weber, Präsident der EVP, CSU-Mitglied, versucht gerade, die postfaschistische Partei Italiens von Frau Meloni christdemokratisch zu vereinnahmen. Ich finde, nachdem wir in Schweden eine Regierung haben, bei der es eine Entgrenzung nach rechts gegeben hat, wir auch in Italien eine Entgrenzung nach rechts erlebt haben und nachdem eine christdemokratische Partei wie die Fidesz nach rechts außen gewandert ist, kann das hier im Deutschen Bundestag nicht unwidersprochen einfach hingenommen werden. Das ist eine Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, bei der wir Widerspruch und keine Gemeinsamkeit mit solchen politischen Kräften erwarten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, morgen steht die Erweiterung, die Vertiefung der Europäischen Union auf der Tagesordnung. Es war gut und richtig, dass auch von diesem Bundeskanzler neue Initiativen gekommen sind, sowohl was den Westbalkan anbelangt als auch vor allem die Ukraine und Nordmazedonien. Aber ich sage Ihnen auch ganz persönlich: Die Kopenhagener Kriterien gelten. Aber es wird nicht das Ende der Geschichte sein. Wir werden auch für den Westbalkan und auch für die Ukraine eine Beschleunigung brauchen. Es wird nicht mehr so lange dauern können wie bisher. Ich weiß, welche außergewöhnlichen Anstrengungen das erfordert, auch in der Veränderung dieses kriegsgeplagten Landes intern. Aber es wird so kommen müssen, und das ist auch richtig in diesem gemeinsamen Europa: für unsere Arbeit, für den Frieden. Dafür stehen wir hier. Vielen Dank.