Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man im Wald lauter ruft und pfeift, wird es nicht umso wahrer. Herr Kollege Müller, Sie vertreten Ihre Heimat, die Stadt Chemnitz – schön, interessant –, und Sie haben – entschuldigen Sie bitte – nach diesem Ampelvorschlag keinerlei Sicherheit, dass Ihre Stadt jemals noch mal hier vertreten sein wird. Das ist das Vabanquespiel, in das uns die Ampel hier führt. Das ist die Wahrheit. – So viel zum Thema Stil, der immer gern angeführt wird. – Das ist eine Folge dieses von der Ampel eingebrachten Wahlrechts. Es gibt im Urheberrecht kein „böse“, „schlecht“ oder „gut“; und dass hier urheberrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, ist durchaus nachzuvollziehen. Eine zweite Frage, die Sie nicht beantworten können: Sie schwören hier Stein und Bein, Sie würden einen Deutschen Bundestag mit einer Größe von 598 Abgeordneten erhalten. Das können Sie nach Ihrem eigenen Entwurf gar nicht. Was ist denn mit dem Antreten parteiunabhängiger Kandidaten, die davon nicht betroffen sind? Sie können das gar nicht entsprechend unterbringen, und im Ergebnis geht es Ihnen doch darum. Weil Sie immer so gerne den Stil bemühen: Das gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, dass jemand in eigenen Angelegenheiten sein Wahlrecht als komplette Reform vor der nächsten Bundestagswahl macht. Selbst wir haben versucht, das in zwei Teilen zu machen. Und jetzt muss ich auch an Ihre Selbstachtung appellieren. Jahrelang waren es hier die Grünen und die FDP, die uns mit der Reduzierung auf 250 Wahlkreise malträtiert haben, weil die Bedeutung der Wahlkreise aus Ihrer Sichtweise überschätzt war. Sie seien überhaupt nicht das, was die Demokratie im Wesentlichen ausmache. Heute klingt das Ganze – ich bewundere Ihre Wendigkeit – wirklich absolut anders. Wir haben versucht, Ihnen entgegenzukommen, was – das darf ich hier sagen – anscheinend gar nicht gewollt war, und einen Kompromiss zu finden, indem wir deutlich gesagt haben: Ja, man kann auch durch Reduzierung der Zahl von Wahlkreisen die Wahrscheinlichkeit von entstehenden Überhangmandanten etwas reduzieren. Doch Ihr Wahlrechtsreformvorschlag, den Sie komischerweise euphemistisch einfach „Kappung“ nennen, ist gegen das Element der Direktwahl gerichtet, gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen die Unmittelbarkeit der Wahl, gerade bei den großen Städten. Warum, Herr Kollege Müller, stehen große Städte besonders im Kreuzfeuer? Weil die Ergebnisse dort natürlich knapper sind. Es gibt mehr Kandidaten, die Städte sind heißer umkämpft. Die wesentliche Folge Ihrer Reform wäre, – durch Schreien wird es nicht besser –, dass es in Städten schwieriger würde – natürlich gewollt –, Wahlkreise zu erringen, weil die Ergebnisse der Parteien dort naturgemäß ein Stückchen unter dem Landesschnitt liegen. Das hätte am Ende des Tages nicht nur ein West-Ost-Gefälle zur Folge, und zwar dahin gehend, dass der Osten weniger Mandate, weniger Abgeordnete, weniger Wahlkreisabgeordnete hätte, sondern auch, dass die großen Städte sich umschauen müssten. Die Vertretung der Heimat, der Bürgerinnen und Bürger vor Ort, das Interesse der Bürger wird dem Proporz geopfert, über den in den Parteizentralen in Berlin entschieden wird. Wenn Sie am Ende des Tages einen Angriff auf das Wahlsystem aus parteipolitischen Erwägungen heraus machen, wenn Sie genau darauf hinauswollen, dann muss man sagen: Das hat mit einer Wahl gar nichts mehr zu tun. Eine abgegebene Stimme in einem Wahlkreis in Deutschland ist keine Empfehlung, ist kein „Ich könnte mir gut vorstellen, dass …“, sondern das ist eine Wahl. Sie rufen Menschen zu einer Wahl auf. Die Menschen picken dabei den für sie wichtigsten und stärksten Kandidaten heraus. Die Menschen sagen damit: Der besitzt mein Vertrauen. Darüber hinaus zwingen Sie die Menschen zu einer einheitlichen Stimmabgabe: Wenn ich die Chancen meines Kandidaten mehren will, muss ich ihm denknotwendig nicht nur meine Erststimme geben, sondern ich muss auch meine Zweitstimme – nach diesem Entwurf ist das die „Hauptstimme“ – entsprechend abgeben, weil alles andere seine Chancen schmälern würde. Das engt gedanklich schon den Wahlvorgang ein. So kann man nur aus der Berliner Blase heraus denken. Ich sage Ihnen: Wenn Sie so die Axt an die Grundlagen der Demokratie legen, dann schauen Sie einmal, was passiert, wenn Sie Menschen zu einer Wahl aufrufen, die am Ende kein Ergebnis zeitigt, bei der sie keinen Kandidaten bekommen. Sie können ja überhaupt nicht sagen, ob eine regionale Vertretung gewährleistet ist oder nicht, auf jeden Fall nicht nach diesem Entwurf. Mein letzter Hinweis. Ich hoffe sehr, dass die Linken sich von ihren rechtlichen Beratern diesen Entwurf im Einzelnen wirklich haben darlegen lassen. Denn dieser Entwurf beinhaltet vor allem eine Gefahr für die Linken. Man tut so, als würde man die Grundmandatsklausel erhalten, aber die Frage ist doch, wer am Ende in dieses Parlament einzieht. Ich kann nur warnen! Bei diesen Mehrheitsverhältnissen wird es aber auf eine Annahme hinauslaufen. Man denkt sogar die Stimmen der AfD mit; selbst das akzeptiert man. Ich kann nur sagen: Das ist am Ende des Tages eine Reform, die des Wahlrechts und der Bürgerinnen und Bürger nicht würdig ist.