- Bundestagsanalysen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Problem der unkontrollierten Größe des Deutschen Bundestages beschäftigt die Politik, die Bürgerschaft und die Wissenschaft schon einige Jahre. Die Parteienstruktur der frühen Bundesrepublik hatte sich spätestens mit der Gründung der AfD so stark verändert,
Aber allerspätestens!)
dass zunehmend Direktmandate mit relativer Mehrheit gewonnen werden konnten – also mit 20 oder mit 25 Prozent der Wahlkreisstimmen –, während früher die absolute Mehrheit der Normalfall war.
Anlässlich der Aufhebung einer Wahlrechtsreform von CDU/CSU und FDP wegen Verfassungswidrigkeit – davon verstehen ja bestimmte Parteien viel hier in diesem Raume –
Der Experte spricht vorn!)
im Jahre 2012 stellte das Bundesverfassungsgericht die Forderung auf, errungene Überhangmandate im Unterschied zu früher weitgehend durch zusätzliche Ausgleichsmandate zu kompensieren, damit die endgültige Sitzverteilung im Bundestag – dafür war das gut – dem Verhältnis der Zweitstimmen der Parteien zueinander entspricht. Dies führte 2013 zu insgesamt 631 Mandaten, also 33 mehr als die gesetzliche Festlegung von 598. Bei der Bundestagswahl 2017 entstanden 111 überzählige Mandate. Mit weiteren Steigerungen in der Zukunft war zu rechnen, die dann 2021 mit 138 zusätzlichen Mandaten auch eingetreten ist.
Diese Überzahl an Abgeordnetenmandaten von fast 25 Prozent bedeutet eine Verwässerung der Stimmenbasis der regulären Zahlen. Das ist in Fachkreisen ein entscheidender Punkt, um die demokratische Legitimität dieses Instituts kritisch anzuschauen. Es entstand ein „adipöser Bundestag“, wie ein Rechtsprofessor diesen Zustand nannte.
Beifall bei der AfD)
Diese Entwicklung veranlasste den damaligen Präsidenten Schäuble unmittelbar nach Zusammentritt des Parlaments 2017, eine interfraktionelle Arbeitsgruppe einzuberufen, um Lösungsmöglichkeiten für eine Wahlrechtsreform auszuloten. Wir haben bis Frühjahr 2019 – ich gehörte ihr an – einmal wöchentlich getagt. Dem Präsidenten unterstelle ich die besten Absichten. Ob seine Fraktion ihn stützte, darf man in Zweifel ziehen. Die Vertreter der beiden größten Fraktionen haben nur Verhinderungsdiskussionen betrieben; so viel wird man aus der Runde erzählen dürfen.
Gestern war hier wiederholt die Rede von der materiellen staatlichen Unterstützung, welche die Parteien verdienen. Von der Pflicht der Parteien, das Gemeinwohl zu unterstützen, war gestern leider nicht die Rede.
Beifall bei der AfD)
Im September 2019, nach dem Scheitern der Schäuble-Runde, äußerten sich 102 Staatsrechtslehrer öffentlich zur Handlungsfähigkeit der Politik. Sie schrieben – ich zitiere mit der Erlaubnis der Frau Präsidentin –:
In Sorge um das Ansehen der Demokratie appellieren wir … an den Deutschen Bundestag, die Reform … alsbald in Angriff zu nehmen.
Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, viele Abgeordnete würden zögern, „weil das eigene Hemd ihnen wichtiger sei als der Gemeinwohlrock“.
Beifall bei der AfD)
Davon konnte man viel spüren, wie wahr!
Die Vertreter der drei damals kleineren Parteien haben zu Recht die GroKo-Parteien kritisiert, jedoch selber nichts beigesteuert – außer der Idee der Verkleinerung der Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250. Davon wollen Sie heute ja auch nichts mehr wissen – intellektuell nicht sehr anspruchsvoll!
Beifall bei der AfD)
Dies war keine systemische Lösung, weil die Überhangmandate durch diese Absenkung gar nicht ausgeschlossen sind; das gilt auch für das, was die CDU/CSU heute vorgelegt hat. Es ist auch nicht der Sache funktionierender Wahlkreise dienlich wegen dann entstehender Megawahlkreise, die natürlich ihre demokratische Legitimation für die Direktgewählten sozusagen ausdünnen.
Uns, der AfD-Fraktion, wurde in der Schäuble-Zeit schnell klar, dass bei dem hergebrachten und in der Fachwelt geschätzten personalisierten Verhältniswahlrecht eine Problemlösung nur durch den Wegfall der Überhangmandate hergestellt werden kann. Genau dazu haben wir ein Modell entwickelt, dies als Sachantrag auf Drucksache 19/20602 am 1. Juli 2020 in den Geschäftsgang gebracht
Hört! Hört!)
und am 3. Juli 2020 im Plenum diskutiert. Seine Eckpunkte waren – ganz kurz und etwas zusammengefasst –: Einhaltung der Regelgröße von 598 Mandaten – also, keiner hat das neu entdeckt; wir haben es vorgeschlagen –, Begrenzung der Direktmandate auf eine Zahl, welche die Mandatszahl, die einer Partei über die Listenwahl zusteht, nicht überschreitet – ganz neue Entdeckung –, mehr Zweitstimmen als bisher, um einzelne Bewerber auf den Landeslisten zu kennzeichnen und damit Einfluss auf die Reihenfolge der Bewerber zu gewinnen – das wäre ein demokratischer Fortschritt –; man nennt das die sogenannte offene Listenwahl. Aber so viel Demokratie in diesem Hause ertragen Sie nicht.
Beifall bei der AfD)
Die drei kleinen Parteien hatten den schlichten Vorschlag der Absenkung der Zahl der Wahlkreise erneut eingebracht und behauptet, dies sei der einzige beschlussfähige Gesetzentwurf. Der wurde von der GroKo abgelehnt – und unser Strukturvorschlag natürlich von allen anderen.
Am 29. September 2020 hat die AfD dann als Drucksache 19/22894 einen durchformulierten Gesetzentwurf vorgelegt – der heute in leicht veränderter Form wieder auf der Tagesordnung steht –, der alles enthält, was im heutigen Koa-Entwurf als eigenes Konzept angepriesen wird, meine Damen und Herren.
Beifall bei der AfD)
So viel zum Thema „Flaggenzeichen“; ich weiß nicht, was da immer wieder an Selbstlob entsteht. Zusätzlich fordern wir in der Tat die Einführung der offenen Listenwahl; darauf werden wir nicht verzichten. Irgendwann werden wir die auch noch in der Politik in Deutschland haben.
Einen Tag vor der Beratung der Wahlrechtsfrage in der aktuellen Reformkommission verkündeten drei autorisierte Vertreter der Ampel am 18. Mai 2022 in einem offenen Brief in der „FAZ“ unseren Vorschlag als eigene Idee. Damit haben sie zugleich die Wissenschaftler der Kommission zu Statisten erklärt – schnöde und gemein. Das ist wissenschaftliche Beratung in der Bundesrepublik Deutschland, meine Damen und Herren.
Beifall bei der AfD)
Wir freuen uns natürlich über die Tatsache, dass die AfD zum ersten Mal im Bundestag in einer wichtigen Frage der Organisation von Demokratie eine Mehrheitsentscheidung für ihr Konzept erhalten wird, weil es kein besseres gibt. Wunderbar! Herzlichen Dank.
Beifall bei der AfD)
Wir teilen der Öffentlichkeit allerdings auch mit, dass die Dreistigkeit des geistigen Diebstahls – ich komme sofort zum Schluss, Frau Präsidentin – und die Verschlagenheit,
Hört! Hört!)
mit der diese Wahlrechtsreform als eigene geistige Leistung verkauft wird, in der Geschichte dieses Parlaments wahrscheinlich einmalig sind.
Beifall bei der AfD
Meine Güte!)
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja, bitte! Dann ist endlich Schluss!)
Ich komme sofort zum Schluss. Letzter Satz! – Wir weisen ganz nebenbei darauf hin, dass, hätten Sie unserem Vorschlag damals, im Herbst 2020, zugestimmt, 2 Milliarden Euro an Kosten für diese 20. Legislaturperiode eingespart worden wären.
Genau!
Hört! Hört!)
Es war also nur eine Frage der frühen Einsicht, aber nicht eine Frage des bösen oder guten Willens.
Herzlichen Dank.
Beifall bei der AfD)
Nächster Redner ist für die FDP-Fraktion Konstantin Kuhle.
Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)