- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle stehen sicherlich unter dem Eindruck der sehr bewegenden, sehr würdigen Gedenkveranstaltung, die gerade eben hier im Plenum stattgefunden hat. Trotzdem möchte ich sagen, dass wir jetzt zu einem anderen inhaltlichen Thema überleiten, dem Wahlrecht. Danke aber noch mal an das Präsidium für die Ausrichtung dieser Gedenkveranstaltung!
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Gesetzentwurf zur Wahlrechtsreform legen wir nicht das x‑te kosmetische Reförmchen vor oder machen den x‑ten kleinen Schritt, sondern wir wagen einen großen Wurf: Wir führen den Deutschen Bundestag zukünftig bei allen weiteren Wahlen auf die Regelgröße von 598 Sitzen zurück.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Damit lösen wir ein Versprechen des Koalitionsvertrages ein: auf der einen Seite dadurch, dass wir die Reform, wie zugesagt, binnen des ersten Jahres angehen; aber auf der anderen Seite erfüllen wir auch eine klare Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger. Die jüngste Umfrage dazu hat ergeben, dass 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sagen: Wir wollen ein faires, ein gerechtes, ein transparentes Wahlrecht, mit dem dafür gesorgt wird, dass die Größe des Bundestages nicht stetig ansteigt. – Auch diesem Versprechen werden wir gerecht.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Etwas Weiteres gelingt uns in diesem Haus. Wir zeigen eindeutig, dass wir, also dieses Verfassungsorgan, selbst reformfähig sind. Wir, die Fortschrittskoalition, die sich vorgenommen hat, dieses Land umfassend zu modernisieren und zu reformieren, zeigen: Wir selber sind reformfähig, indem wir aus der Mitte des Bundestages einen Vorschlag für die Reform des Wahlrechtes vorlegen. Darauf, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir stolz sein.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Warum ist eine solche Reform überhaupt notwendig? Lassen Sie uns das eingangs deutlich machen. Das Wahlrecht, das wir seit den 1950er-Jahren kennen, hat sich nicht verändert, aber die Parteienlandschaft, das Wahlverhalten. Während es am Anfang zwei große Parteien waren, auf die in den Wahlkreisen Direktmandate verteilt wurden, und dann noch eine dritte Partei hinzukam, so sind es nun sechs oder sieben Parteien, die um den Einzug in den Bundestag konkurrieren. Die Wahlergebnisse zeigten: Immer häufiger reichte in den Wahlkreisen ein knapper Stimmenvorsprung, um einen Sitz im Bundestag zu gewinnen.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, führt – wie wir alle wissen, aber nicht jedem im Land schon bewusst ist – zu den Überhangmandaten. Wir haben jetzt 34 an der Zahl. Diese 34 Überhangmandate führen zu sagenhaften 104 Ausgleichsmandaten. Der Bundestag ist jetzt mit 736 Mitgliedern so groß wie noch nie zuvor. Hätte es nicht das CSU-Privileg gegeben, wären es noch 51 Sitze mehr. Wir zeigen: Wir wollen eine echte Reform. Eine echte Reform ist nötig!
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Uns gelingt dies auch dadurch, dass wir die Zweitstimme zukünftig als das bezeichnen, was sie ist: Sie heißt „Hauptstimme“. Denn die Hauptstimme ist die entscheidende Stimme für die Verteilung der Sitze – und das ist das Sitzplatzkontingent von 598 Sitzen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Es wird in diesem Plenum 598 Sitze geben, die fair, gerecht und gleich auf alle Parteien verteilt werden. Darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land verlassen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wenn die Sitze verteilt werden, dann wird in 299 Wahlkreisen gewählt, nicht in 280, wie es die verunglückte GroKo-Reform vorsah. Sie wollte nämlich 19 Wahlkreise streichen, also 19‑mal weniger Wahlmöglichkeiten für Bürger. Wir dagegen wollen 299‑mal eine Wahlentscheidung im Wahlkreis.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kombinieren wir, indem wir uns an die verbundene Mehrheitsregel halten. Die verbundene Mehrheitsregel wird sich entscheidend darauf auswirken, dass es eine doppelte Legitimation gibt. Zunächst muss der Sitzplatzanspruch für die Partei durch das proportionale Verhältnis vorhanden sein. Sodann wird in den Wahlkreisen geschaut, wer dort Wahlkreiserster ist. Wenn diese doppelte Legitimation besteht, dann ist auch im Wahlkreis ein Bewerber gewählt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist einfach, das ist fair, das ist gerecht, das ist nachvollziehbar, und das bevorteilt keine Partei allein.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])
Lassen Sie mich aber auch noch eine Sache zur weiteren Debatte ausführen. Wir haben heute die erste Lesung. Wenn wir der Oppositionsfraktion CDU/CSU ein faires Gespräch anbieten und sofort mit wüstesten Beschimpfungen seitens der CSU begonnen wird – von „organisierter Wahlfälschung“ bis hin zu „Schurkenstaat“ –, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, verpassen wir die Chance auf eine faire und gerechte Debatte. So kann man in einem demokratischen Rechtsstaat über das vornehme Wahlrecht nicht entscheiden. Lassen Sie uns verbal abrüsten. Lassen Sie uns lieber dafür sorgen, dass wir gemeinsam ein faires und gerechtes Wahlrecht vorschlagen.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Im Übrigen ist auch nicht nachvollziehbar, dass wir in der Wahlrechtskommission so lange gemeinsam an dem Wahlrecht gearbeitet haben und die Union an einem Grabenwahlrecht festgehalten hat,
Über Jahre haben wir Vorschläge gemacht!)
um dann erst vor wenigen Tagen ihren Vorschlag zu ändern, um zu erklären, dass sie doch bei ihrem Vorschlag mit 270 Wahlkreisen bleiben will und einer einseitigen Bevorteilung der CDU/CSU, zum Beispiel auf Kosten der Linkspartei. Ich als Sozialdemokrat bin unverdächtig, die Linkspartei zu verteidigen. Aber es kann doch nicht sein, dass der Wahlvorschlag der CDU/CSU vorsieht, Die Linke durch die Anhebung der Grundmandatsklausel einfach so, wenn man dem letzten Wahlergebnis folgt, aus dem Parlament zu katapultieren.
Das Gegenteil ist der Fall!)
So kann man das Wahlrecht nicht reformieren.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich lade umgekehrt dazu ein, dass wir tatsächlich das einhalten, was wir den Bürgerinnen und Bürgern versprochen haben: ein einfaches, ein faires, ein gerechtes Wahlrecht einzuführen. Ein Prozess, der das Ergebnis einer Wahlrechtskommission ist, die, ein klares Ziel vor Augen, fast ein Jahr getagt hat.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der Appell: dass wir das Wahlrecht gemeinsam reformieren und einen Nachweis erbringen, dass wir mutig sind, dass wir uns selbst nicht von den Reformen ausnehmen, sondern ein modernes Wahlrecht schaffen, das den Bürgerinnen und Bürgern echte Wahlmöglichkeiten gibt und endlich mit der Privilegierung einzelner Gruppen aufhört.
Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Danken möchte ich den Obleuten der Koalition. Till Steffen, Konstantin Kuhle, wir haben Teamwork gemacht, wie es in der Ampel üblich ist. Wir freuen uns, wenn wir eine breite parlamentarische Mehrheit gewinnen können. Die Debatte ist eröffnet. Wir freuen uns auf die weiteren Argumente in der Sache – im Respekt voreinander, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Danke schön.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank für die Anmerkungen zur Gedenkstunde. Diese werde ich selbstverständlich mit ins Präsidium nehmen. Ich denke, dass uns das alle emotional sehr berührt und angefasst hat und es immer schwierig ist, danach in der Debatte fortzufahren. Das tun wir jetzt aber dennoch; denn das wird von uns auch erwartet.
Als Nächstes erhält das Wort Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)