Wahre Worte eines ehemaligen Bundeskanzlers, die wir uns zu Herzen nehmen sollten. – Gestatten Sie mir: Es wäre gut gewesen, auch er hätte sich in den letzten zwölf Monaten daran erinnert, dass wir aus unserer gesamten Geschichte lernen müssen. Meine Damen und Herren, „Nie wieder!“: Diese von vielen von uns oft verwandte Wendung stammt ursprünglich aus einem Gedicht des jüdischen Dichters Yitzhak Lamdan aus dem Jahr 1927. „Nie wieder Krieg!“, „Nie wieder Barbarei!“, „Nie wieder Völkermord!“, „Nie wieder Verfolgung!“, „Nie wieder Menschenverachtung!“. Meine Damen und Herren, dieses „Nie wieder!“ geschieht immer wieder und gerade auch jetzt. Auch die Verfolgung queer lebender Menschen geschieht in vielen Teilen der Welt auch heute noch. Auch in Deutschland ist gewiss noch nicht alles gut. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee die Gefangenen des Konzentrationslagers in Auschwitz. 1996 wurde dieser Jahrestag der Befreiung auf Initiative unseres damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum offiziellen deutschen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Zu diesen Opfern unendlichen Leids gehören auch die Opfer, die sich heute als „queer“ bezeichnen würden: schwule Männer, lesbische Frauen, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen, die vielfach gequält, zwangskastriert oder zu wahnwitzigen Menschenversuchen missbraucht wurden – widerliche Taten, gegen die im Einzelnen manchmal der Tod noch fast gnädig erscheint. Deshalb finde ich es angemessen und freue mich, dass wir diese Opfer morgen auch in den Mittelpunkt unserer Gedenkstunde stellen, meine Damen und Herren. Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin jemanden zitieren, den man im Moment nicht mehr so einfach zitiert, unseren ehemaligen Bundeskanzler Gerd Schröder, der in seiner Erklärung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus sagte: Weiter: Und wir schulden den Opfern des Nationalsozialismus, natürlich allen Opfern, Angehörigen des jüdischen Volkes, der Sinti und Roma, den wegen ihrer politischen Überzeugung und sexuellen Orientierung oder Identität vergessenen und verfolgten Menschen, unser Gedenken und unser Erinnern. Aber ein Erinnern, das nur aus Reden und dem Aufrechterhalten dieser Erinnerung besteht, würde all diesen verfolgten, gequälten und ermordeten Menschen nicht gerecht. „Nie wieder!“ kann und muss jetzt in unserer Zeit, in unserer Gegenwart bedeuten, aufzustehen: gegen Gewalt, gegen Missbrauch, gegen Verunglimpfung und Ausgrenzung von Minderheiten, Andersdenkenden und gegen Krieg. Darauf kommt es an, gerade in Zeiten, in denen mitten in Europa wieder ein verbrecherischer Angriffskrieg herrscht. Jetzt können, jetzt müssen wir zeigen, was Erinnern und Wiedergutmachung des nicht Wiedergutzumachenden bedeutet. Erinnern bedeutet nicht nur, zurückzuschauen und sich des Vergangenen zu erinnern. Erinnern bedeutet, in der Gegenwart zu handeln und nicht zu zögern, gegen Krieg, Gewalt und Verfolgung einzutreten. Meine Damen und Herren, uns mag in diesem Haus keine persönliche Schuld treffen. Aber wir als deutsches Parlament tragen eine historische Verantwortung. Den Opfern des Nationalsozialismus, den Opfern von Gewaltherrschaft, Krieg und Verfolgung werden wir nur dann gerecht, wenn wir alles dafür tun, unseren Beitrag dazu zu leisten, dass aus dem „Immer wieder“ irgendwann ein „Nie wieder!“ werden kann – ich bin quasi fertig; Sie dürfen gleich gerne klatschen –: hier bei uns in Deutschland, bei uns in Europa und letztlich überall. Lassen Sie uns dafür gemeinsam eintreten! Herzlichen Dank.