Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2022 war ein Krisenjahr. Doch es ist weniger schlimm gekommen als befürchtet, und dazu haben Sie – das erkennen wir als Opposition auch an – als Regierungskoalition Ihren Teil beigetragen. Das, Herr Minister, ist in Kurzzusammenfassung der Jahreswirtschaftsbericht. Darüber, dass es besser gekommen ist als befürchtet, freuen wir uns. Wir wollen, dass es Deutschland gut geht. Gleichzeitig müssen wir aber auch festhalten: Weniger schlimm ist immer noch schlimm. Und – das haben Sie gerade selbst gesagt – es ist noch nicht gut. Vor einem Jahr haben wir als Union an dieser Stelle, schon vor dem Krieg übrigens, vor den Gefahren der Inflation gewarnt. Knapp 8 Prozent Inflation in 2022, 6 Prozent erwarten Sie für dieses Jahr. Wo Sie da eine Trendumkehr erkennen – das ist die zweithöchste Inflation jedenfalls in meiner Lebenszeit hier auf Erden –, verstehe ich nicht. Das sind 14 Prozent in zwei Jahren. Das sind für einen Durchschnittsverdiener etwa 500 Euro weniger im Monat, die er zur Verfügung hat. Das ist die größte sozialpolitische Aufgabe, die es aktuell in Deutschland gibt; denn Inflation ist Raub am kleinen Mann. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie hier mehr zu diesem Thema gesagt hätten, statt es mit „Trendumkehr“ gesundzubeten. Die Menschen haben weniger Geld in der Tasche; der Wohlstand ist nicht sicher. Von der Konzertierten Aktion des Bundeskanzlers haben wir schon ziemlich lange nichts mehr gehört. Und weil Sie selbst gerade die Debatte der letzten Tage zu den Panzerlieferungen angesprochen haben: Ob in der Wirtschafts-, in der Energie- oder eben auch in der Außenpolitik, das Muster ist ja immer das gleiche: Wir erleben einen Streit in der Ampel, vornehmlich zwischen Grünen und der FDP mit zum Teil sehr klaren gegensätzlichen Äußerungen. Der Kanzler äußert sich gar nicht, zögert, zaudert. Am Ende kommt irgendwann überraschend eine Entscheidung, meistens zu wenig und zu spät. Das ist das Muster dieser Koalition bei der Frage der Waffenlieferungen, aber eben auch in der Wirtschaftspolitik, und das schafft Verunsicherung in Zeiten, in denen eigentlich Sicherheit, Planbarkeit und Verlässlichkeit nötig wären, liebe Kolleginnen und Kollegen. Jawohl. Lieber Herr Kollege Audretsch, das Bemerkenswerte ist ja: Wir haben hier Woche für Woche in vielen Debatten Vorschläge, konkrete Anträge eingebracht. Das noch viel Spannendere daran ist: Viel von dem, was wir gefordert haben, haben Sie meistens drei oder vier Monate später gemacht, nur zu spät und zu wenig. Das ist das eigentliche Problem. Sie setzen ja an vielen Stellen um, aber eben zu spät und zu wenig. Zum Zweiten, um das auch noch mal zu sagen: Sie haben sich hier zuerst einen Blankoscheck über 200 Milliarden Euro abgeholt, ohne irgendjemandem mal erklären zu können, wofür Sie das Geld eigentlich brauchen. Eigentlich können Sie bis heute nicht herleiten, wofür eigentlich die 200 Milliarden Euro benötigt werden. Diesen Blankoscheck wollten wir Ihnen nicht geben. Anschließend haben Sie über Monate Zeit vergeudet, weil Sie sich über den Sommer mit einer Gas-Chaosumlage beschäftigt haben – Sie wollten ja erst Gas in Deutschland noch verteuern, anstatt es günstiger zu machen –, um dann hektisch Energie- und Gaspreisbremsen zu machen, die von der Idee her richtig sind, in der Umsetzung aber so, dass die allermeisten Unternehmen gerade alles tun, um sie nicht nutzen zu müssen, weil sie die Unsicherheit noch vergrößern. Zu einem solchen Chaos konnten wir tatsächlich nicht Ja sagen, Herr Kollege Audretsch. Das Problem ist – ich sage das auch mit Blick auf das, was 2023 ansteht –: Die Art und Weise, wie hier Politik seitens der Ampel gemacht wird, wird die Unsicherheit verstärken, und das wird sich auch nicht ändern. So ist Deutschland im Jahr 2023 inzwischen ein Land im Wartezustand. Die Inflation wird erkennbar hoch bleiben – das sagen Sie auch in Ihrem Bericht –, und es droht eine langanhaltende Phase von Niedrigwachstum. Deswegen müsste sich diese Regierung ohne Wenn und Aber zu einer Wachstumspolitik bekennen. Wachstum ist kein Selbstzweck, war es auch nie. Wachstum hat zu Wohlstand geführt, in Deutschland und weltweit. Wachstum hat zu gesellschaftlicher Teilhabe und zu sozialem Aufstieg geführt. Wachstum und Wohlstand haben uns befähigt, sozialen Ausgleich zu schaffen, und befähigen uns, den Klimawandel zu meistern. Wachstum ist nicht alles, aber ohne Wachstum ist alles nichts. Deswegen ist es okay, wenn Sie neue Indikatoren einführen; aber am Ende des Tages kommt es vor allem auf wirtschaftliches Wachstum an. Glück zu messen, auch das kann man machen; die Debatten gab es ja. Glück zahlt aber keine Renten. Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, und das muss im Mittelpunkt eines Jahreswirtschaftsberichts stehen. Da ist der Befund schwierig. Wir fallen in einem Standort-Ranking nach dem anderen zurück. Es ist aktuell nicht besonders attraktiv, in Deutschland zu investieren. Trotz Rekordbeschäftigung sinkt die Produktivität; das heißt, wir haben zwar mehr Menschen in Beschäftigung, wir stellen aber nicht mehr her. Wir haben also ein Problem bei der Produktivität, und deswegen braucht es eine konsequente Rückkehr zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik: um das Angebot auszuweiten, um den Standort attraktiv zu machen, um die Produktivität zu erhöhen. Leider findet sich dazu wenig Konkretes, und wir haben auch wenig dazu gehört. Ein Beispiel. Die Regierung möchte – man achte auf die Wortwahl – „darauf achten“, Bürokratielasten zu begrenzen. Das Gegenteil ist passiert: Unternehmen müssen gerade in Deutschland zum Teil mit Excel-Tabellen und per Listen die Arbeitszeit dokumentieren. Stichpunkt „Arbeitsverträge“ – ich sage nur „Digitalisierung first, Bedenken second“ –: Arbeitsverträge müssen wieder ausgedruckt werden! Das haben Sie letztes Jahr hier beschlossen. Als wir in dieser Krise beantragt hatten, das Lieferkettengesetz, das auch den Mittelstand stark mit Bürokratie belastet, auszusetzen, haben Sie Nein gesagt. Sie sollen nicht „darauf achten“, keine Bürokratie zu machen; Sie sollen handeln, um Bürokratie abzubauen und nicht neu entstehen zu lassen. Setzen Sie in dieser schweren Zeit der Wirtschaftskrise endlich ein Belastungsmoratorium für Deutschland und die EU um! Ein zweites Beispiel. Der Bericht besagt, man müsse in Zukunft auch privates Kapital mobilisieren. Wer die Marktwirtschaft vom Staat her denkt, der hat sie nicht ganz verstanden. Investitionen sind nicht gleich Subventionen. Wir brauchen Investitionen und Innovationen durch Unternehmen. Das sind doch diejenigen, die zuvörderst hier bei uns in Deutschland in der Marktwirtschaft investieren sollen. Und da bin ich nicht ganz sicher, was „transformative Angebotspolitik“ – das Wort haben Sie gestern geprägt – eigentlich heißen soll. Es ist richtig, den Fokus stark auf Klimaschutz zu richten. Aber Investitionen in Klimaschutz alleine erhöhen unsere Produktivität nicht. Eine Form der Energieerzeugung durch eine andere Form der Energieerzeugung zu ersetzen, ist richtig im Sinne des Klimaschutzes; aber es macht uns als Land insgesamt mittel- und kurzfristig nicht reicher; es erhöht die Produktivität nicht. Deswegen, Herr Wirtschaftsminister, weiten Sie endlich Ihren Blick über dieses eine Thema hinaus! Die deutsche Wirtschaft braucht es dringend. Ein drittes Beispiel. Angebote ausweiten, etwa bei der Energie: mehr Angebot, niedrigere Preise. Nach dem Bericht der Bundesnetzagentur werden von 2022 bis 2025 15 Gigawatt Leistung abgestellt, es kommen aber nur 3 Gigawatt dazu. Wie die 4 Gigawatt der Kernkraftwerke ab Ende April ersetzt werden sollen – wahrscheinlich durch Gasverstromung –, weiß so richtig kein Mensch. Der Chef der Bundesnetzagentur sagt, er freut sich darüber, wenn die französischen Kernkraftwerke wieder ans Netz kommen. Das ist okay. Noch mehr Freude in Deutschland und Europa, übrigens gerade bei den Stromkunden im Hinblick auf bezahlbare Preise, gäbe es aber, wenn die drei deutschen Kernkraftwerke bis mindestens Ende nächsten Jahres am Netz blieben. Dafür sorgen Sie aber nicht, nach dem Motto „Lieber Kohle statt klimaneutral“. „Verlogen“ nennt das der Kollege Kruse von der FDP, und da hat er recht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Deswegen braucht es auch diese Debatte. Nur ganz kurz zu den Arbeitsfachkräften, weil Sie das angesprochen haben. Zumutbare Arbeit gibt es in Deutschland gerade genug. Wir haben Millionen offene Stellen. In einer solchen Zeit machen Sie – da konnten wir das Schlimmste gerade noch verhindern – mit dem Thema Bürgergeld zwar kein bedingungsloses, aber ein ziemlich bedingungsarmes Grundeinkommen. In einer Zeit, wo es zumutbare Arbeit, Millionen Stellen en masse für erwerbsfähige Menschen in Deutschland gibt, handeln Sie in Ihrer Denke immer noch wie in den Zeiten von vor fünf und vor zehn Jahren. Kommen Sie endlich in den neuen Gegebenheiten des Arbeitsmarktes an! Setzen Sie Anreize zum Arbeiten, und machen Sie in dieser Zeit nicht das Gegenteil! Deswegen abschließend, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ja, die Ausgangslage in Deutschland ist besser als erwartet, und das Land ist eigentlich stark. Aber es braucht jetzt eine konsequente Politik für Wettbewerbsfähigkeit, für Wachstum. Es geht um unseren Platz in der Weltwirtschaft. Es geht darum, wie wir in fünf, in zehn Jahren dastehen. Sagen Sie ehrlich, was ist. Tun Sie entschlossen, was notwendig ist; sonst wird die Ampel selbst zum größten Standortrisiko.