Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie aus der bisherigen Debatte hervorgeht, sind sich die Ampelkoalition, aber auch wohl alle anderen eigentlich darin einig, dass es in Bezug auf ME/CFS erhebliche Wissens- und Forschungslücken gibt. Der Koalitionsvertrag ist hier eindeutig und unmissverständlich: Die Krankheit muss aus ihrem Nischendasein befreit werden.
Im Grunde hat die Union mit diesem Antrag Passagen aus unserem Koalitionsvertrag übernommen. Ich werfe das der Union auch überhaupt nicht vor; denn am Ende ist es ja die Aufgabe der Opposition, die Regierungsfraktionen auf Trab zu halten. Ich möchte aber nicht, dass der Eindruck entsteht, wir würden das Krankheitsbild und das Leiden der Erkrankten und ihrer Angehörigen nicht ernst nehmen. Wir arbeiten konsequent daran, die Forschung und Versorgung auf allen Gebieten voranzubringen. Das Schreiben von fundierten Gesetzentwürfen und Verordnungen ist eben sehr anspruchsvoll – anspruchsvoller als das Verfassen von Anträgen.
Die Coronapandemie hat viel Leid über die Menschen gebracht. Aber durch die Pandemie sind auch viele neue Erkenntnisse gewonnen worden. Wenn man der Coronapandemie überhaupt etwas abgewinnen will, so ist es die Aufmerksamkeit, die ME/CFS durch die Verbindung mit Post Covid erhalten hat. Denn beide Krankheitsentitäten, beide Verläufe haben ein gemeinsames Merkmal, das andere Krankheiten und Syndrome nicht haben, nämlich die sogenannte Post-Exertional Malaise, abgekürzt PEM, oder, auf Deutsch, die belastungsabhängige Symptomverschlechterung. Dieses Syndrom ist wahrscheinlich vielen gar nicht bekannt. Es heißt – das wurde auch schon gesagt –, mit Sport kann man mitunter mehr Schaden anrichten als ohne starke körperliche oder seelische Belastung.
Wir können also CFS nicht mehr losgelöst von Long Covid betrachten. Es gibt sogar Anzeichen, dass CFS und Long Covid gemeinsame Ursachen haben. Deswegen müssen wir Forschungsvorhaben bündeln und daraus wegweisende Erkenntnisse gewinnen.
Hastig aufgesetzte Projekte, ad hoc eingerichtete Taskforces oder Ähnliches können das aber nicht leisten. Mit vorschnellen Maßnahmen werden wir die vielen Erkenntnisse aus der Post-Covid-Forschung nicht gewinnbringend für die an ME/CFS Erkrankten umsetzen.
Lassen Sie mich bitte noch auf eine Frage eingehen: Wie häufig ist ME/CFS eigentlich? Es wurde hier ja mehrmals angesprochen: Wir wissen aus amerikanischen Studien, dass ungefähr 0,4 Prozent der Bevölkerung daran leiden. In Deutschland wären das ungefähr 250 000 bis 300 000 Betroffene, ohne die Dunkelziffer, die auch schon angesprochen wurde. Wie häufig ist die Krankheit? Wenn man es vergleicht, dann sieht man, dass sie ungefähr genauso häufig ist wie die Multiple Sklerose, wobei die Multiple Sklerose eigentlich jeder kennt.
Sie werden jetzt fragen: Wie geht es denn weiter? Hat sich jetzt etwas geändert? – Wir müssen davon ausgehen, dass infolge der Pandemie die Anzahl der Erkrankten erheblich zunimmt, und man schätzt, dass wir demnächst infolge der Covid-Pandemie ungefähr die doppelte Anzahl an Patienten mit diesem Syndrom und mit diesen Symptomen haben werden. Das wären dann ungefähr 1,0 Prozent der gesamten Bevölkerung. Es ist ein dramatisches Ereignis, was da auf uns zukommt, und umso wichtiger ist es, dem entgegenzusteuern, indem man die Forschung vorantreibt.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Ich kann jetzt nicht mehr auf alle Punkte eingehen. Sie haben den Vorschlag gemacht, ME/CFS in ein DMP zu übernehmen. Ich muss sagen: Das ist, glaube ich, etwas abwegig. Wir haben für die Krankheit bisher gar keine wirklich knallharten Diagnosekriterien. Die Forschung arbeitet daran, Biomarker zu erstellen; es gibt noch keine. Wir haben auch noch kein einheitliches Therapieregime. Insofern bietet sich die Erkrankung für ein DMP noch nicht an.
Ich bin froh, dass wir uns hier über alle Fraktionen hinweg relativ einig sind, und hoffe auf vernünftige und wegweisende Anhörungen.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Simone Borchardt ist die nächste Rednerin für die CDU/CSU-Fraktion.
Beifall bei der CDU/CSU)