Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Mehr als 300 deutsche Abgeordnete haben in den vergangenen Wochen eine politische Patenschaft im Iran übernommen. Sie geben zumindest einigen der politischen Gefangenen ein Gesicht, eine Geschichte und einen Namen. Es sind nicht mehr 20 000 anonyme Schicksale. Immer mehr Menschen auf der Welt lernen Mohammad, Farzaneh, Seyed, Mehdi, Armita, Niloufar und viele mehr kennen. Als ich im November die Patenschaft für Toomaj Salehi übernommen habe, wusste ich nicht viel über ihn, und ich wusste kaum etwas über das „Rechtssystem“ im Iran. Seitdem habe ich viel gelernt. Jetzt weiß ich, dass Toomaj Salehi kein einfacher Gefangener ist, sondern der „Sohn der Nation“, ein Löwe und ein Poet, jemand, der die Wut und die Wünsche eines ganzen Landes in Worte gefasst hat, jemand, der verhaftet und gefoltert wurde, weil er frei seine Meinung sagte und offen gegen das Regime protestierte; ihm droht deshalb die Todesstrafe. Toomaj Salehi sitzt seit 81 Tagen in Einzelhaft. Durch schwere Folter sind seine Finger, sein Bein und seine Rippen gebrochen. Am schlimmsten ist die Verletzung seines linken Auges, die zur Erblindung führen kann. Ich verlange, dass Toomaj Salehi die medizinische Behandlung bekommt, die er braucht. Bis dahin werde ich weiter fragen: How healthy is Toomaj really? Wie gesund ist Toomaj wirklich? Und mit mir fragen das jeden Tag viele Menschen weltweit. Durch die Patenschaft habe ich aber noch mehr gelernt. Ich habe gelernt, dass Hinrichtungen im Iran meistens um 2 Uhr nachts deutscher Zeit stattfinden und was Scheinhinrichtungen sind. Ich habe gelernt, dass die Islamische Republik Iran von Rechtsstaatlichkeit und der Barmherzigkeit des Islam spricht, während in ihren Gefängnissen Menschen gefoltert werden, und was es bedeutet, wenn Frauen mit „schweren inneren Blutungen“ ins Gefängnis kommen. Ich habe gelernt, dass die beiden gefürchtetsten Anklagepunkte „Korruption auf Erden“ und „Krieg gegen Gott“ sind. Ich habe aber immer noch nicht gelernt, was das überhaupt bedeutet. Und ich habe gelernt, wie mutig und solidarisch die Iraner/-innen sind. Seit 125 Tagen gehen sie auf die Straße, für ihre Freiheit und ihre Rechte. Sie protestieren gegen willkürliche Festnahmen, gegen staatliche Folter, gegen Vergewaltigung, gegen Hinrichtungen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie wissen, dass ihnen all das auch passieren kann. Das alles stärkt den großen Respekt, den ich vor den Menschen im Iran habe. Das bestärkt mich darin, alles zu tun, damit dieser Terror ein Ende hat. Da gibt es für mich und die gesamte Ampelkoalition kein Wenn und Aber. Ich bin immer dankbar für eine kritische und konstruktive Opposition, die die Bundesregierung politisch antreibt. Was Sie aber hier tun, liebe Union, ist kritisch, aber nicht konstruktiv. Sie nutzen die Menschenrechtsverletzungen im Iran für parteipolitische Profilierung. Sie wollen unbedingt, dass schärfere Sanktionen und Terrorlistung auf Ihr Konto eingezahlt werden. Dafür nehmen Sie den falschen Eindruck in Kauf, Deutschland sei nicht solidarisch mit den Menschen im Iran. Dass dieser Eindruck verfangen kann, dafür tragen wir alle Verantwortung. In den vergangenen 44 Jahren hat die deutsche Politik viel zu oft weggesehen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen im Iran ging. Viel zu lange haben wir am Glauben an Reformen festgehalten. Deshalb verstehe ich den Frust und die Zweifel der iranischen Diaspora. Aber Sie, Sie müssten es nicht nur besser wissen: Sie wissen es besser. Sie wissen, dass sich die Bundesregierung bereits zu den meisten von Ihnen beantragten Maßnahmen bekannt hat. Sie wissen, dass die meisten Maßnahmen auf europäischer Ebene beschlossen werden. Sie wissen, dass ein alleiniger Unionsantrag nicht zu einer politischen Mehrheit im Bundestag führt. Dass Sie ihn trotzdem so stellen, zeigt, dass es Ihnen nicht um die Sache geht und dass Ihnen völlig egal ist, wenn sich die Menschen im Iran, aber auch hier in Europa, völlig zu Unrecht von Deutschland im Stich gelassen fühlen. Sie wollen nach dieser Debatte nur behaupten können, Sie seien die Einzigen im Deutschen Bundestag, die für schärfere Sanktionen und die Terrorlistung sind, obwohl Sie genau wissen, dass eine Ablehnung Ihres Antrags nicht bedeutet, gegen diese beiden Maßnahmen zu sein. Fakt ist: Deutschland steht an der Seite der Menschen im Iran. Der Beschluss im UN-Menschenrechtsrat und der Ausschluss der Islamischen Republik Iran aus der UN-Frauenrechtskommission waren wichtige Zeichen, genauso der Vorstoß der SPD-Fraktion, die Deutsch-Iranische Parlamentariergruppe im Bundestag aufzulösen. Mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die die Todesstrafe für politische Gefangene fordern, kann und darf es keine Zusammenarbeit geben. Und auch wir wollen mehr. Wir wollen die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Unterstützung der iranischen Zivilbevölkerung, einen besseren Schutz der iranischen Opposition in Deutschland, schärfere personenbezogene Sanktionen gegen das Regime und die Aufnahme der Revolutionswächterarmee in die EU-Terrorliste. Die Außenministerin hat vor einigen Tagen angekündigt, dass wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern die Voraussetzungen dafür schaffen werden. Weil es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen: Das, was im Iran passiert, ist staatlicher Terror, und so müssen wir das verantwortliche Regime auch behandeln; nicht aus parteitaktischen Gründen, sondern für die Menschen im Iran, für Menschenrechte, für „Frau, Leben, Freiheit“. Vielen Dank.