Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Besucher/-innen und Gäste! Die Zahlenfolge 3-19-05-06-048858 klingt erst mal nach nichts Besonderem; aber tatsächlich verbirgt sich hinter ihr sehr viel. Sie ist das Aktenzeichen einer Petition an den Deutschen Bundestag, also für ein Anliegen, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger an uns, an ihre gewählte Volksvertretung, gewendet haben. Dieses demokratische Recht ist als Grundrecht in unserer Verfassung verankert. Jedermann darf und soll Themen auf die politische Tagesordnung dieses Hauses bringen.
3-19-05-06-048858: Hinter der Petition, für die diese Zahl steht, verbergen sich viele Menschen, ihre Geschichten und das schreckliche Leid, das sie durchlebt haben und immer noch durchleben. Es sind die über 7 000 Jesidinnen und Jesiden, die durch den sogenannten IS verschleppt wurden, die über 5 000 von ihnen, die getötet wurden, und die über 2 700 jesidischen Frauen und Kinder, die noch immer vermisst sind. Aber es sind auch die über 1 Million Jesidinnen und Jesiden weltweit, die ihre Angehörigen und ihr Volk betrauern und von denen viele immer noch in Flüchtlingscamps leben. Zudem sind es aber auch die über 200 000 Jesidinnen und Jesiden, die hier in Deutschland die größte jesidische Diasporagesellschaft weltweit bilden.
3-19-05-06-048858: Diese Petition wurde von Herrn Gohdar Alkaidy, dem Co-Vorsitzenden der Stelle für Jesidische Angelegenheiten in Berlin, eingereicht. Doch Hunderte, wenn nicht Tausende junge Jesidinnen und Jesiden in Deutschland haben nach der Einreichung dieser Petition von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht, haben in zahlreichen Städten unermüdlich über den Völkermord aufgeklärt und Unterschriften für die Petition gesammelt. Sie haben in vier Wochen 65 000 Unterschriften eingereicht. Ich möchte mich von ganzem Herzen dafür bedanken, dass Sie diese Arbeit auf sich genommen haben und damit Ihr so wichtiges Anliegen hier in den Deutschen Bundestag getragen haben.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Danke für Ihr Engagement, und danke auch für die Hoffnung, die Sie damit in uns gesetzt haben!
Ihre Petition fordert uns, den Deutschen Bundestag, dazu auf, die Gräueltaten, die dem jesidischen Volk durch den sogenannten IS im Jahr 2014 angetan worden sind, als Genozid, als Völkermord, anzuerkennen. Am 14. Februar 2022 fand die erste öffentliche Anhörung zu Ihrem Anliegen im Deutschen Bundestag statt, die mich persönlich sehr berührt hat. Der Petent, Herr Alkaidy, war gemeinsam mit seiner Mutter in unserem Ausschuss und hat die Petition mit folgenden Worten begründet – ich zitiere –:
Die Grausamkeit dieses Völkermords, die erdrückende Ungewissheit über das Schicksal der Verschleppten, das zermürbende Gefühl von Hilf- und Schutzlosigkeit als Minderheit und das Verlangen nach Gerechtigkeit hat mich dazu veranlasst, … die Petition „Anerkennung des Völkermordes an den Jesiden“ zu starten, damit der Deutsche Bundestag diesen Völkermord endlich als solchen benennt.
Als zuständige Berichterstatterin für diese Petition bin ich stolz und dankbar, dass wir genau das heute tun,
Beifall des Abg. Johannes Schraps [SPD])
dass der Deutsche Bundestag den Genozid an den Jesiden durch den sogenannten IS als solchen anerkennen wird und wir damit dem Anliegen dieser Petition entsprechen können.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Im Petitionsausschuss haben wir uns einstimmig, Regierungsparteien und Opposition, dafür ausgesprochen, Ihr Anliegen zu unterstützen. Die Kolleginnen und Kollegen im Menschenrechtsauschuss, allen voran Derya Türk-Nachbaur und Frank Schwabe, haben sich ebenfalls mit großem Engagement des Themas genommen, haben weitere Anhörungen organisiert und fraktionsübergreifend den hier heute vorliegenden Antrag erarbeitet. Vielen Dank auch dafür.
Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vor allem aber bin ich jenen dankbar, die bereit sind, ihre Geschichte und das, was ihnen widerfahren ist, mit der Öffentlichkeit zu teilen: Allen voran den vielen mutigen Frauen, die bereit sind, über das zu sprechen, was ihnen angetan wurde – so wie die Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad, die ebenfalls bei uns im Deutschen Bundestag zu Gast war und die Geschichte so vieler anderer jesidischer Frauen, Männer und Kinder mit uns geteilt hat.
In der Auseinandersetzung mit dem Anliegen, den Völkermord anzuerkennen, hat sich ziemlich schnell gezeigt, dass das Anliegen gänzlich berechtigt ist. Es ist wichtig und notwendig, dass wir den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden anerkennen.
„Heilung beginnt mit der Anerkennung“ – so lauteten Nadia Murads Worte bei ihrem Besuch hier in unserem Hause. Ganz in diesem Sinne bin ich überzeugt, dass wir mit der politischen Anerkennung des Genozids an den Jesidinnen und Jesiden einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Opfern und Hinterbliebenen – dem jesidischen Volk – ein Stück Gerechtigkeit zurückzugeben. Es ist klar, dass geschehenes Leid dadurch nicht revidiert werden kann und auch eine Wiedergutmachung niemals möglich sein wird. Zudem ist uns natürlich auch völlig bewusst, dass die juristische Aufarbeitung und Anerkennung des Völkermordes weiterhin dringend notwendig bleibt; denn die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden für das, was sie getan haben.
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das heißt, zur Aufarbeitung des Völkermords an den Jesidinnen und Jesiden ist noch ein weiter Weg zu gehen. Doch heute gehen wir einen wichtigen Schritt.
Heilung ist wichtig, und dafür zu sorgen, dass Geschehenes nicht erneut geschehen wird, ein gemeinsames Ziel. Heute senden wir an das jesidische Volk eine Botschaft: Wir beschreiten den Weg zur Aufarbeitung des Völkermordes durch den IS gemeinsam. Wir stehen fest an Ihrer Seite.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)