Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wichtig die Debatte heute ist, haben die Wortmeldungen von Dietmar Nietan und Agnieszka Brugger gezeigt, die beide klar gesagt haben, dass morgen eine Entscheidung fällt, zumindest zugunsten einer Lieferung des Leopard 1. Ich bin von der Regierung darüber nicht informiert worden, Sie als Regierungskoalition vielleicht schon. Aber wenn wir darüber heute nicht im Zusammenhang mit diesem Antrag der CDU/CSU diskutieren würden, dann würden die Mitglieder des Deutschen Bundestages dies morgen aus der Zeitung oder auf „Spiegel Online“ erfahren statt von der Bundesregierung. Das finde ich einen parlamentarisch ziemlich unmöglichen Stil.
Beifall bei der CDU/CSU
Sie legen uns hier falsche Sachen in den Mund!)
Ich vermisse zum Beispiel den Bundeskanzler, der hier, wenn er beabsichtigt, diese wichtige Entscheidung zu treffen, heute durchaus die Gelegenheit gehabt hätte – das gilt auch für die Bundesaußenministerin –, die Gründe dafür darzulegen. Dann hätte es auch einen breiten Beifall der demokratischen Fraktionen dieses Hauses gegeben. Die Bundesregierung ist durch den Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister vertreten, der sich die Zeit nimmt; die anderen haben sie offensichtlich nicht.
Zuruf von der CDU/CSU: Sehr schade!)
Das Zweite, was ich anmerken möchte: Wenn hier von Panzerlieferungen an die Ukraine gesprochen wird, kriegen die Redner der Regierungskoalition mehr Beifall aus den Reihen der CDU/CSU als aus den Reihen der SPD.
Da hättet ihr bei mir noch ein bisschen mehr klatschen können!)
Dietmar Nietan hat geklatscht, viele andere nicht. Das zeigt die Zerrissenheit in dieser für unsere Sicherheit und für die Menschen in der Ukraine so entscheidenden Frage.
Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist eine totale Schwäche der deutschen Außenpolitik, dass die Bundesregierung in dieser zentralen Frage der Außen- und Sicherheitspolitik die Fraktionen offensichtlich nicht geschlossen hinter sich hat.
Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist hier auch rekurriert worden auf die Situation der Bundeswehr. Ich möchte an dieser Stelle nur eines klarstellen: Wir haben in zähen Verhandlungen mit der SPD vor fünf Jahren erreicht, die Verteidigungsausgaben deutlich anwachsen zu lassen, von anfangs um die 30 Milliarden auf 55 Milliarden Euro. Wir haben im Haushaltsjahr 2021 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – gegenüber 1,1 Prozent in früheren Jahren – für Verteidigung ausgegeben. Wir werden demnächst die Abrechnung für das Jahr 2022 bekommen. Im Jahr 2022 wird der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt vermutlich unter dem Niveau von 1,5 Prozent liegen, und dies, obwohl der Bundeskanzler am 27. Februar letzten Jahres hier von diesem Pult aus gesagt hat: 2 Prozent für Verteidigung ab sofort. – Das war die Ankündigung des Bundeskanzlers. Wenn man die Zahlen in den nächsten Wochen in Washington, in London, in Paris lesen wird, wird man feststellen: Der Bundeskanzler hat zwar von 2 Prozent ab sofort gesprochen, aber 2022 wurde – gemessen am Bruttoinlandsprodukt, vielleicht sogar absolut – weniger für Verteidigung ausgegeben als in den Jahren 2020 und 2021 unter Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer.
Das ist eine politische Hypothek, die wir auf unsere Schultern nehmen, die die Diskussion bei unseren Partnern in Amerika auf gewisse Art und Weise vergiften wird, nach dem Motto: Der deutsche Bundeskanzler kündigt etwas an, und es passiert genau das Gegenteil. – Das macht uns das Leben in der NATO, in der EU, in der G 7 wirklich schwer. Das ist eine enorme Hypothek, und Sie müssen daran arbeiten, dass das, was in Deutschland von der Regierung gesagt wird, auch in Taten umgesetzt wird. Das sieht man nicht nur in Kiew kritisch, sondern, wie gesagt, auch in London, Paris und Washington.
Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte jetzt noch kurz auf den Grund eingehen, warum wir den Antrag heute hier stellen. Es ist tatsächlich der vierte Antrag, den wir zum Thema „schwere Waffen für die Ukraine“ stellen. Den ersten Antrag haben wir hier am 28. April gemeinsam beraten und verabschiedet. Der zweite Antrag folgte im Mai. Der ist dann von euch hier im Plenum des Deutschen Bundestages abgelehnt worden.
Namentliche Abstimmung!)
Der dritte Antrag ist im September von uns gestellt worden. Der liegt seit Wochen im federführenden Auswärtigen Ausschuss und wird regelmäßig von der Tagesordnung abgesetzt – jetzt zum sechsten Mal. Wenn das ein zehntes Mal passiert, dann werden wir ihn zwangsweise auf die Tagesordnung des Plenums setzen.
Deshalb sehen wir uns gezwungen, heute diesen Antrag zu stellen. Wir hätten gerne heute darüber debattiert, über unseren Antrag und die Empfehlungen des Auswärtigen Ausschusses zu unserem früheren Antrag. Aber da die Befassung damit verzögert wird, müssen wir das auf diese Weise machen.
Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist auch keine Petitesse, dass das so lange dauert; denn wir erleben, dass Russland sich auf eine dritte Invasionswelle vorbereitet. Der Ukraine ist es gelungen, zwei Wellen zurückzuschlagen. Viele von uns haben das für nicht möglich gehalten. Das war Tapferkeit, Klugheit, Geschlossenheit und im Übrigen auch der Unterstützung der westlichen Partner der Ukraine zu verdanken; das will ich gar nicht hintanstellen.
Wir sind jetzt in einer Situation, in der Russland durch Teilmobilisierung Hunderttausende von Rekruten mobilisiert, die nun mehr können, als sie noch konnten, als sie eingezogen wurden, weil sie mittlerweile ausgebildet sind. Wir haben die Situation in Russland, dass Russland aus allen Teilen des Landes Militärkräfte zusammenzieht, um einen solchen Angriff zu machen. Wir haben die Situation, dass in Belarus mit Russland gemeinsam das große Manöver durchgeführt wird. Wir haben Zeit verloren. Wenn wir im Mai beschlossen hätten, die Leos vorzubereiten und die Soldaten auszubilden, könnten wir im Frühjahr liefern. So wird es vielleicht zu spät kommen,
Zuruf von der CDU/CSU: Sehr bitter!)
und dann haben wir eine ganz bescheuerte Ausgangssituation; das schadet unserem Ansehen in der Ukraine und in der übrigen Welt.
In diesem Sinne!
Beifall bei der CDU/CSU)
Alexander Müller hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)