- Bundestagsanalysen
Verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Ministerin! Wir beraten heute den neunten Nationalen Bildungsbericht. Wir bedanken uns bei dem wissenschaftlichen Autorinnen- und Autorenteam, das erneut eine systematische Bestandsaufnahme des deutschen Bildungssystems erstellt und sich für daran anschließende Handlungsempfehlungen zur Verfügung gestellt hat.
Empfohlen werden mehr finanzielle Ressourcen, eindeutige politische Zuständigkeiten, mehr Verbindlichkeit in der Zusammenarbeit relevanter Entscheidungsträger und ein bildungsbereichsübergreifendes Agieren. Der Bericht benennt als zentrale Herausforderung den aktuellen und den prognostizierten massiven Fachkräftemangel, die anhaltend hohe soziale Ungleichheit bei den Bildungschancen, die Sicherung einer sprachlichen Grundbildung, die schleppende Digitalisierung und die Bewältigung von Krisensituationen. Wie erschöpfend sich die Arbeit für die Pädagoginnen und Pädagogen mindestens seit der Coronapandemie gestaltet, das zeigen aktuell die Ergebnisse des heute veröffentlichten Deutschen Schulbarometers. Zum Fachkräftemangel und den Lernrückständen treten die enormen Belastungen hinzu, die mit der Aufnahme ukrainischer Kinder und Jugendlicher verbunden sind.
Der Bericht dokumentiert, dass nach wie vor die Bildungserfolge der Kinder in unmittelbarem Zusammenhang mit der sozioökonomischen Situation der Familie stehen. Deshalb muss es darauf ankommen, dass wir das gemeinsame Vorhaben, das Startchancen-Programm, das heißt die zielgerichtete Unterstützung von 4 000 Schulen, die zu einem weit größeren Anteil von Schülern besucht werden, die aus ökonomisch benachteiligten Familien kommen, so früh wie möglich starten.
Beifall bei der SPD sowie der Abg. Ria Schröder [FDP])
Ein für uns zwingender Faktor ist die bedarfsorientierte Förderung dieser Schulen, das heißt, wir wollen bei der Mittelverteilung eine Abkehr vom Königsteiner Schlüssel. Warum ist das wichtig? Unser Bildungssystem setzt generell zu sehr darauf, dass Elternhäuser ihre Kinder begleiten, bei den Hausaufgaben, beim Lernen und bei der Ausstattung. Nicht jeder Haushalt kann dies leisten; Schüler/-innen an sogenannten Brennpunktschulen erhalten hier noch weniger Unterstützung.
Der Lebensalltag von Armut betroffener Kinder und Jugendlicher ist vielfach mitgeprägt durch beengte Wohnverhältnisse, durch sehr wenige familiäre Reisen und Wochenendausflüge, durch fehlende kulturelle und gesellschaftliche Teilhabe. Zu Hause und in der Freizeit fehlen vielfach sprachliche Vorbilder. Brennpunktschulen müssen mit dem Start in die erste Klasse eine Vielzahl an Kompensationsleistungen erbringen, und das müssen sie durch die gesamte Schulbiografie fortführen. Das ist auch richtig so; denn ihre Schüler und Schülerinnen haben die gleichen Bedürfnisse wie alle Kinder und Jugendlichen. Ihnen sollten die gleichen Perspektiven geboten werden. Pädagoginnen und Pädagogen benötigen deshalb mehr Zeit, um gute Beziehungen aufzubauen und Bindungen zu schaffen. Unterricht, der die Basiskompetenzen wie Lesen, Schreiben und Mathematik in den Mittelpunkt stellt und gleichfalls praxisnah sein soll, muss deshalb in kleineren Lerngruppen möglich sein. Dazu braucht es einerseits moderne Raumlösungen, geeignete Ausstattung und ausreichend Digitalisierung, andererseits braucht es mehr Personal und die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Teams. Schulleitungsteams sollten ebenfalls indexbezogen mehr Leitungszeit erhalten und durch Fort- und Weiterbildung, kollegiale Beratung und Coaching unterstützt werden. Ein wichtiger Programmbaustein ist die Förderung von zusätzlichen Schulsozialarbeiter/-innenstellen.
Ich komme zum Schluss. Wir brauchen insbesondere mit Blick auf die Förderung der Startchancen-Schulen einen Paradigmenwechsel. Dort, wo die Bedingungen sozial prekärer sind, bedarf es wesentlich größerer Anstrengungen und Ressourcen, um Bildungserfolge zu erzielen. Mit anderen Worten: Wo ungleiche Verhältnisse anzutreffen sind, muss auch ungleich gehandelt und reagiert werden.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Für die AfD-Fraktion hat das Wort Dr. Götz Frömming.
Beifall bei der AfD)