Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr Tempo fordern wir in unserem heutigen Antrag „Mehr Tempo für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum“. Mehr Tempo fordern aber auch diejenigen, die wir mit unserem Antrag in den Blick nehmen. Beim Thema Inklusion denken viele zuerst an Menschen mit Behinderungen. Dabei geht es um viel mehr. Es geht auch um die Mutter, die mit ihrem Kinderwagen nicht durch den Kassenbereich eines Supermarktes kommt. Es geht auch um den Großvater, der seinen Enkel in einer anderen Stadt besuchen will, aber den ICE verpasst, weil niemand da ist, der ihm beim Einsteigen hilft. Auch diese beiden wünschen sich von der Politik mehr Tempo. Für sie ginge es im Alltag viel schneller, wenn man auch an ihre Bedürfnisse gedacht hätte. Als Sozialethiker habe ich in meinem Studium gelernt, dass man sich Politik und insbesondere Ordnungspolitik spieltheoretisch vorstellen kann. Zwei Seiten müssen zusammenwirken: Spielregeln auf der einen, Spielzüge auf der anderen Seite. Grundsätzliche ethische gesellschaftspolitische Ziele und Vorstellungen müssen auf der Ebene der Spielregeln etabliert werden. So können sie als Rahmenbedingungen für das Handeln des Einzelnen Anreize entfalten. Mit Blick auf unsere heutige Debatte glaube ich, dass dieses zweidimensionale Modell zu kurz gedacht ist. Es fehlt eine dritte Dimension. Um im Bild zu bleiben: Wir müssen auch das Spielbrett mitdenken. Ich meine damit einen Spielraum, der nicht einfach da ist, sondern immer erst geschaffen und gestaltet werden muss. Nur so können Menschen zu Mitspielern werden. Also: Spielregeln, Spielzüge und Spielraum. Erst diese dritte Dimension bringt Ordnung in die Politik. Demnach ist Inklusionspolitik nicht noch etwas Hinzukommendes, ein schönes Extra oder so, sondern nichts mehr oder weniger als Ordnungspolitik. Morgen ist Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen. Deshalb haben wir mit unserem Antrag der Ampel einen Merkzettel aufgeschrieben für eine smartere Gesellschaft, deren Programme, Regeln, Strukturen und urbane Hardware vom Nutzer her gedacht werden müssen. Es geht um Bauliches, um Mobilität, um Digitalisierung, um politische Beteiligung, um Katastrophenschutz und um vieles mehr. Eine unserer Anregungen möchte ich aber besonders herausgreifen; denn sie birgt großes Potenzial. Es geht um das Thema „Design für Alle“. „Design für Alle“ ist ein Konzept für die Planung und Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und Infrastrukturen. Damit sind Lösungen gemeint, die besonders gebrauchsfreundlich sind und individuellen Anforderungen begegnen. Das Ziel: Allen Menschen soll eine Nutzung ohne individuelle Anpassung oder besondere Assistenz möglich sein. So wird niemand stigmatisiert. Ich wünsche mir, dass möglichst viele von dieser Idee angeregt werden. Es gibt bisher nur zwei Orte in Deutschland, an denen dieser Ansatz in die Ausbildung zukünftiger Gestalter integriert ist. Einer davon liegt in meinem Wahlkreis, die Akademie für Gestaltung der Handwerkskammer Münster. Dort werden nach Auskunft ihres Leiters Manfred Heilemann als Teil des gemeinnützigen Kompetenznetzwerks EDAD in drei Jahrgängen 90 bis 120 Studierende erfahrungsbasiert zu Multiplikatoren für „Design für Alle“ ausgebildet. So was muss in Deutschland Schule machen. „Design für Alle“ realisiert die Idee einer Ordnungspolitik, die inklusiv ist. Vor fast genau einem Jahr haben Sie sich das Bundesprogramm Barrierefreiheit in Ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Seitdem ist nichts passiert. Das ist ein unfaires Spiel. Es wird Zeit, liebe Ampel, etwas mehr für Barrierefreiheit und einen inklusiven Sozialraum zu tun. Seien Sie keine Spielverderber! Machen Sie endlich Tempo!