Jetzt muss man sich die nächste schmerzhafte Schicksalsgeschichte anhören. Aber ich kann sie erzählen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Kind hatte ich als erste Videokassette, VHS, „König der Löwen“ – vielen bekannt. Dort gibt es den Titelsong „Der ewige Kreis“. Wissen Sie, was schön ist? Heute schließt sich dieser Kreis nicht nur für mich, sondern auch für viele andere Hunderttausende und mehr Menschen, die zu unserer Gesellschaft und zu unserem Land gehören; denn wir beschließen heute im Deutschen Bundestag das Chancen-Aufenthaltsrecht. Damit beginnen wir einen Neuanfang in der Migrations- und Integrationspolitik. Wir schaffen eine neue Grundlage für eine notwendige Anerkennungskultur. Ich freue mich, als hannoverscher Bundestagsabgeordneter und Bürger dieses Landes an diesem Redepult zu stehen und zu diesem Gesetz zu sprechen. Ob ich mir das jemals hätte erträumen können? Ich weiß es nicht. Aber jetzt ist es Realität geworden. Wenn man sich jedoch die Jahre davor anguckt, war es nicht vorhersehbar. Meine Geschichte beginnt 1993 in Hannover, in der Bundesrepublik Deutschland. Meine Eltern sind zusammen mit meinem älteren Bruder aus Bosnien-Herzegowina nach Deutschland gekommen. Ich bin in Hannover geboren, ein waschechtes Hannover-Kind: Schule, Studium und Arbeit, alles in Hannover gemacht, mein Zuhause. Das klingt so weit erst einmal nach einer normalen Kindheit. Das war sie jedoch nicht. Ich habe mir bewusst von dem zuständigen Ordnungsamt einen Auszug meiner Aufenthaltsgeschichte geben lassen, um gemeinsam mit Ihnen den behördlichen Spießrutenlauf nachzuvollziehen. Adis Ahmetovic: von 1993 bis 2001 18 Duldungen, zwischen einem Monat und drei Monaten, dazwischen eine Androhung auf Abschiebung und eine Ausreiseaufforderung. Wie Sie sehen können, hat es nicht geklappt. Jetzt bin ich direkt gewählter Bundestagsabgeordneter. Dann fast vier Jahre Einbürgerungsprozess mit Abgabe der bosnisch-herzegowinischen Staatsbürgerschaft, die mir nicht leichtfiel. Aber auch an der doppelten Staatsbürgerschaft arbeiten wir, und das ist auch ein richtiges Zeichen. Seit 2015 glücklicher deutscher Staatsbürger. Und eine Meldung nach rechts: Schwarz, Rot, Gold, die Farben gehören mir, nicht Ihnen. Sie gehören den Demokratinnen und Demokraten. Das lassen wir uns nicht nehmen. Das ist nämlich das Grundgesetzbuch. Mit diesen behördlichen Gängeleien, dieser unsäglichen Praxis der Kettenduldungen ist ab heute Schluss. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren. Das ist gut so. Es ist ein Zeichen im Sinne von Fairness, Partizipation, Anerkennung und Respekt. Aber es ist auch ein Zeichen für viele Bundesbürgerinnen und Bundesbürger: ein spätes Eintreffen von Gerechtigkeit für so viele harte Schicksalsjahre. Die Gerechtigkeit siegt heute mit dem Beschluss des Chancen-Aufenthaltsrechts. Für viele Menschen beginnt damit ein neues Leben. Deutschland hat dieses neue Gesetz nötig. Die Menschen haben es verdient, in einem Einwanderungsland zu leben, mit Anerkennung, Respekt und Wertschätzung. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und vielen Dank für dieses Engagement.