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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
stimmen heute über die ersten beiden Asylpakete der Ampelkoalition ab. Beide
sind aus meiner Sicht eine Riesenenttäuschung. Der Gesetzentwurf zum
Chancen-Aufenthaltsrecht schafft nicht wirklich Chancen für die, die sie
bräuchten, und das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz keine Beschleunigung. Ich
weiß auch, dass Sie sich in der Koalition nicht immer einig waren und dass die
FDP teilweise blockiert hat. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Mit uns hätte es
das nicht gegeben.
Beifall bei der LINKEN)
Aber nun zurück zum Thema. Der Gesetzentwurf zum
Chancen-Aufenthaltsrecht beinhaltet immer noch viel zu hohe Hürden, um
Kettenduldungen, wie eigentlich versprochen, wirksam zu beenden. Sogar nach
Ihren eigenen Berechnungen werden nur rund 34 000 Personen die Anforderungen
erfüllen. Gegenüber den 240 000 geduldeten Menschen, die in Deutschland leben,
ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Beifall bei der LINKEN)
Die wesentlichen Kritikpunkte von Verbänden und NGOs hat die Koalition
vollkommen ignoriert. So wurde die Identitätsklärung per eidesstattlicher
Versicherung nicht mit geregelt, wodurch weiterhin Menschen ausgeschlossen
werden, die schlicht keine Pässe besorgen können. Frau Lindholz, es gibt
Menschen, die können diese Pässe einfach nicht besorgen; Sie kennen die Realität
einfach nicht.
Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
– Nein. – Auch der Stichtag wurde lediglich um ein Dreivierteljahr
verschoben, statt gänzlich abgeschafft. Da hätten wir uns mehr gewünscht. Das
ist aus unserer Sicht Ausdruck einer Politik, die nur Zwischenlösungen
schafft.
Helge Lindh hat gesagt, das Chancen-Aufenthaltsrecht sei Ausdruck von
Vernunft und Pragmatismus. Wenn Sie wirklich vernünftig und pragmatisch gewesen
wären, hätte die Koalition unserem Gesetzentwurf für ein Bleiberecht vor der
Sommerpause zugestimmt.
Beifall bei der LINKEN)
Dann hätte es die vielen Abschiebungen bis jetzt nicht gegeben.
Zum Gesetzentwurf zum Asylgerichtsverfahren sage ich Ihnen als
Juristin ganz ehrlich: Das ist eine richtige Katastrophe. Im Koalitionsvertrag
wurden faire, zügige und rechtssichere Asylverfahren versprochen. Stattdessen
liefert die Ampel jetzt eine Ausweitung und Manifestation des Sonderrechts im
Asylbereich. Viele wissen gar nicht, dass die Rechte von Geflüchteten in
Deutschland schon maximal eingeschränkt sind. Und das setzt die Bundesregierung
jetzt fort; Frau Polat hat das auch eingesehen. Ich wünsche mir, dass Sie da
wirklich noch einmal nacharbeiten.
Ich möchte dazu ein Beispiel nennen, das auch Herr Rechtsanwalt Münch,
der als Sachverständiger für den Deutschen Anwaltverein am Montag in der
Anhörung war, genannt hat: Wird beispielsweise ein Auto abgeschleppt, steht den
Besitzern, bzw. Besitzerinnen der komplette Instanzenzug offen. Im
Asylverfahren, wo es um Leben und Tod geht, sind die Rechtsmittel dagegen
eingeschränkt und Klagefristen verkürzt. Herr Münch nannte Ihren Gesetzentwurf
einen experimentellen Ausbau dieses Sonderrechts gegenüber Geflüchteten. Ich
möchte an dieser Stelle ergänzen: Diese Ungleichbehandlung per Gesetz ist das
Gegenteil von einem Paradigmenwechsel.
Beifall bei der LINKEN)
Dabei wäre doch die Abschaffung dieses Sonderrechts gegenüber
Geflüchteten der erste und ein wichtiger Schritt für eine Gleichberechtigung.
Das haben auch viele Sachverständige bestätigt.
Ein regelrechter Tabubruch hingegen ist die Ermöglichung von
Anhörungen im Asylverfahren mit Videotechnik. Die Anhörung ist das Kernstück des
Asylverfahrens. Dort müssen Geflüchtete von ihrem Schicksal und häufig
traumatisierenden Erlebnissen und Gewalterfahrungen berichten. Das ist über eine
Kamera einfach nicht möglich, weil es keine vertrauensvolle Atmosphäre gibt.
Beifall bei der LINKEN)
Außerdem sehe ich die Gefahr, dass Sie hier eine Technik einführen,
die am Ende in Schnellverfahren in Haftzentren an den EU-Außengrenzen zum
Einsatz kommt, womit das Leid dort noch vergrößert wird. Diese Verschärfung
lehnen wir natürlich ab. Und beim Chancen-Aufenthaltsrecht müssen wir uns aus
den genannten Gründen enthalten.
Beifall bei der LINKEN)
Nächste Rednerin: für die SPD-Fraktion Gülistan Yüksel.
Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)