Zwischenrufe:
5
Beifall:
20
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem
Chancen-Aufenthaltsrecht und der Verbesserung der bestehenden
Bleiberechtsregelung für gut integrierte Geduldete, der Einführung – endlich –
einer bundesfinanzierten, behördenunabhängigen Asylverfahrensberatung, der
Erleichterung des Familiennachzugs mit Wegfall der Spracherfordernis vor der
Einreise, der Öffnung der Integrationskurse in einem ersten Schritt und der
Abschaffung der anlasslosen Widerrufsprüfung setzen wir unsere ersten zentralen
flüchtlingspolitischen Vorhaben um, für die wir Grüne lange gekämpft haben. Das
ist ein Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei
Abgeordneten der FDP)
Es geht um Reformen, die von der Zivilgesellschaft, den Kirchen, Herr
Frei, Gewerkschaften und nicht zuletzt der Wirtschaft seit Jahren als längst
überfällig erachtet wurden. Wer daran noch gezweifelt haben sollte, den muss die
Sachverständigenanhörung zum Chancen-Aufenthaltsrecht vom vergangenen Montag,
liebe Frau Lindholz, nun wirklich eines Besseren belehrt haben.
Auf welcher Veranstaltung waren Sie? –
Weitere Zurufe von der CDU/CSU)
Was schaffen wir mit dieser Reform? Wir ziehen die Konsequenz daraus,
dass die bisherigen Bleiberechtsregelungen aus 16 Jahren unionsgeführter
Innenpolitik ins Leere gelaufen sind. Deshalb schaffen wir das
Chancen-Aufenthaltsrecht. Mehr als 137 000 Menschen sollen vom kommenden Jahr an
aus dem System der entwürdigenden Kettenduldung geholt werden und endlich eine
Perspektive in Deutschland bekommen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Alle, die seit fünf Jahren geduldet oder gestattet hier leben,
bekommen in dem Chancenjahr einen gesicherten Status, um die Voraussetzungen für
ein dauerhaftes Bleiberecht zu erfüllen, zu arbeiten, wenn sie bisher keine
Beschäftigungserlaubnis hatten, Sprachkenntnis zu erwerben, wo ihnen bisher der
Zugang zum Integrationskurs verwehrt wurde, und sich Identitätsnachweise zu
besorgen, soweit die Herkunftsländer diese überhaupt ausstellen.
Von was für Menschen sprechen wir, meine Damen und Herren? Beispiele
haben uns und Ihnen allen Flüchtlingsräte, Kirchen, Handwerkskammern,
Handelskammern zugeschickt: der junge Eritreer, der schon fünf Jahre in
Deutschland gelebt, erfolgreich eine Lehre zum Koch abgeschlossen hatte und
dessen Arbeitgeber alles tat, um eine befristete Arbeitserlaubnis zu beschaffen.
Am Ende verhängten die Behörden die unsägliche „Duldung light“, und ihm wurde
eine Beschäftigung dauerhaft verweigert.
Weil seine Identität nicht geklärt war!)
Oder der Afghane, seit sieben Jahren bei uns, erfolgreich die
Ausbildung zum Metallbauer abgeschlossen, von seiner Firma übernommen,
Sozialbeiträge bezahlt, im örtlichen Fußballverein spielend, engagiert in der
Kirchengemeinde:
Den mündlichen Sprachnachweis packt er, aber nicht den schriftlichen,
weil er Legastheniker ist, belegt durch Atteste und Gutachten. Meine Damen und
Herren, das ist entwürdigend.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der
LINKEN)
Dagegen helfen keine Dauerparolen der Abgrenzung, der Diffamierung und
der Spaltung, sondern eine Antwort, die Chancen bietet und – letztendlich doch
für uns alle – Perspektiven eröffnet. Daher laden wir Sie herzlich ein,
mitzumachen. Auch in Ihren Wahlkreisen, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Union, gibt es unzählige Betriebe, die das alles genauso sehen und Ihnen die
Frage stellen werden, warum Sie diese Reform abgelehnt haben,
Nee! Weil die mit denen nämlich gar nichts
anfangen können!)
warum die junge Geduldete aus Hannover, als Intensivpflegerin tätig,
abgeschoben werden soll.
Für die Wirtschaft, den Deutschen Industrie- und Handelskammertag, das
Bündnis aus Unternehmen für ein Bleiberecht aus Baden-Württemberg und auch für
uns ist klar: Ausbildung statt Abschiebung!
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei
Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, die Koalition wird das Chancenjahr nach den
wichtigen Hinweisen aus der Anhörung nun auf 18 Monate verlängern. Die
Verschiebung des Stichtags um zehn Monate wird dazu führen, dass mehr Menschen
von der Regelung profitieren können. Wir werden außerdem mit den Verbesserungen
bei den bestehenden Bleiberechtsregelungen weitere Möglichkeiten für Geduldete
eröffnen. Beim bisherigen Bleiberecht ermöglichen wir für gut integrierte
Jugendliche bereits nach drei Jahren, für Familien nach vier Jahren und für
alleinstehende Erwachsene nach sechs Jahren den Spurwechsel zusätzlich zum
Chancen-Aufenthaltsrecht und einen gesicherten Aufenthaltstitel. Die
Altersgrenze von 21 Jahren – ebenfalls lange gefordert – beim Bleiberecht für
gut Integrierte setzen wir auf 27 Jahre hoch. Auch das ist ein ganz wichtiger
Beitrag, um aus den unsäglichen Kettenduldungen rauszukommen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei
Abgeordneten der FDP)
Mit den Änderungen, die wir Ihnen zu diesem Gesetz heute vorlegen,
werden wir auch eine einjährige Vorduldung für Jugendliche und junge Erwachsene
nach dem Bleiberecht für gut Integrierte einführen. Wir halten diese
Vorduldungsfrist für falsch, tragen sie aber als Kompromiss mit.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und
FDP, wir sollten aber schon jetzt prüfen, ob nicht alternative Möglichkeiten im
Migrationspaket bestehen. Denn wenn junge Menschen, die sich trotz eines langen
Asylverfahrens gut integriert oder ihren Aufenthaltstitel verloren haben, weil
sie ihren eingeschlagenen Bildungsweg ändern müssen oder mussten, nicht
abgeschoben werden sollen, müssen wir das gesetzlich sicherstellen und nicht
über Härtefallkommissionen heilen.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Abschließend zwei wichtige Punkte zu den Änderungen im Asylgesetz.
Endlich kommt sie, die gesetzliche Verankerung für eine flächendeckende
behördenunabhängige Asylverfahrensberatung – das wird in jedem Fall zu einer
höheren Qualität der Asylbescheide führen –, und außerdem ist eine
Rechtsberatung vor der Anhörung für uns unglaublich wichtig und auch
europarechtlich geboten.
Last, but not least: Die Praxis der anlasslosen Widerrufsprüfung
positiver Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge war und ist
ebenso unverhältnismäßig wie aufwendig. Beim BAMF wurden unzählige
Personalkapazitäten gebunden, die an anderer Stelle für die Beschleunigung der
Asylverfahren benötigt werden. Die Neuregelung wird zu einer enormen Entlastung
beim BAMF führen.
Am Ende möchte ich mich ganz herzlich beim Innenministerium, heute
stellvertretend bei Herrn Özdemir, und den Kolleginnen und Kollegen für die
guten Beratungen bedanken. Ich empfehle dem Hohen Haus die Zustimmung zu diesen
beiden Gesetzen.
Ich bedanke mich für Ihre und eure Aufmerksamkeit.
Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei
Abgeordneten der FDP)
Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Dr. Bernd Baumann.
Beifall bei der AfD)