Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD meint, Familien entlasten zu wollen. Hört! Hört! Doch was sich dahinter verbirgt, ist ein Vehikel für ein reaktionäres Familien- und Frauenbild. Wenn ich mir das durchlese, bekomme ich ehrlicherweise eine Gänsehaut. Dann lassen Sie uns mal genau hinsehen. Wer profitiert denn eigentlich von einer Verschärfung des aktuellen Splittings? Das sind vor allem – wir haben es heute schon gehört – Familien mit höherem Einkommen und zugleich die Familien, wo der Einkommensunterschied zwischen den beiden Verdienenden besonders groß ist. Was fördert ein solches Splitting also? Traditionelle Rollenbilder: Mann ist Alleinverdiener, Frau bleibt zu Hause, bekommt möglichst viele Kinder. Da also soll ein antiquiertes Bild einer traditionellen Familie mit einem männlichen Alleinverdiener steuerlich zementiert werden, das Frauen abhängiger und womöglich im Alter ärmer macht. Doch genug zu diesem aufgewärmten Antrag aus der AfD-Mottenkiste. Hin zu dem, was Familien in all ihrer Vielfalt tatsächlich befähigt und was unserer gesellschaftlichen Realität im 21. Jahrhundert entspricht: Was wir brauchen, ist eine Politik, die Familien unterstützt, sodass beide arbeiten gehen können, sodass Frauen finanziell unabhängig und beruflich ausgefüllt sind und wir so dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Wir können es uns doch gar nicht mehr leisten, dass ein Elternteil zu Hause bleibt oder nur mit wenigen Stunden arbeitet. Wir brauchen gerade auch die oftmals gut ausgebildeten und hochqualifizierten Frauen auf einem Arbeitsmarkt, der händeringend Fachkräfte sucht. Doch noch immer ist die Erwerbsquote von Frauen in Deutschland deutlich niedriger als die der Männer. Vor allem sind sie viel häufiger als Männer in Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung tätig. Mehr als die Hälfte der Frauen arbeitet in Teilzeit. In 75 Prozent aller Haushalte sind Frauen die schlechter Verdienenden – 75 Prozent! Was sorgt für diese 75 Prozent? Was lässt die Frauen zu Hause bleiben? Das sind fehlende Kitaplätze, das sind ungeeignete Elternzeit- und Minijobregelungen, und das ist auch ganz maßgeblich unser Steuersystem, namentlich das Ehegattensplitting, das negative Arbeitsanreize für Frauen setzt und das die AfD nun auch noch ausbauen möchte. Zum Glück sieht die Ampel im Koalitionsvertrag weitaus vernünftigere familienpolitische Maßnahmen vor. Einige wurden schon umgesetzt: Wir bekämpfen Kinderarmut und sichern Familien durch die jüngst beschlossene Kindergelderhöhung finanziell besser ab; die ersten Schritte hin zu einer modernen Kindergrundsicherung wurden unternommen. Wir unterstützen Eltern dabei, die Erwerbs- und Sorgearbeit gerechter untereinander aufzuteilen. Dazu stärken wir Schulen und Kitas, nicht zuletzt mit dem KiTa-Qualitätsgesetz, über das wir am Freitag abstimmen werden. Die Partnermonate beim Elterngeld werden erweitert, Alleinerziehende, Selbstständige und auch Pflegeeltern besser berücksichtigt. Und wir wollen – das ist mir persönlich ganz wichtig – mit einem gerechteren Steuersystem für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen sorgen. Das ist nicht nur ein Gebot des Arbeitsmarktes – den weithin verbreiteten Fachkräftemangel habe ich erwähnt –; es ist schlicht ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. Frauen sind oft besser ausgebildet und wollen oft mehr arbeiten. Dieses Potenzial darf nicht ungenutzt bleiben. Das ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Besser ausgebildet, aber schlechter bezahlt – das ist schlichtweg ungerecht. Für jede einzelne Frau ist es eine ganz konkrete Frage der gesellschaftlichen Teilhabe, der Chancengleichheit und der Gleichberechtigung. Frauen müssen finanziell und in ihrer Lebensführung unabhängig sein können. Sie müssen arbeiten gehen können und gerecht bezahlt werden, um auch eine gute Rente zu bekommen. Die Wirtschaftsweisen und auch das DIW analysieren ganz klar: Eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen bedeutet mehr verfügbare Fachkräfte, sorgt damit für Wachstumsimpulse, reduziert weibliche Altersarmut und entlastet auch die gesetzliche Rentenversicherung durch höhere Beiträge. Folglich raten Ökonomen zu einer Reform des Ehegattensplittings, die stärkere Arbeitsanreize für die eine unterbeschäftigte Hälfte der Ehegemeinschaft setzt. Die Vorstellungen der AfD würden genau das Gegenteil bewirken. Wir brauchen vielmehr eine Reform der Steuerklassen, sodass nicht mehr ein antiquiertes Familienmodell und eine fatale Frauenrolle steuerlich gefördert werden, sondern eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen und damit auch eine gerechtere Aufteilung der Erwerbs- und der Sorgearbeit. Was wir hier im Bundestag als großen Rahmen steuer- und familienpolitisch umsetzen können, das ist die eine Seite. Die andere Seite zeigt für mich das inspirierende Beispiel des Female Finance Forums, das sich die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen auf die Fahnen geschrieben hat. Seine Gründerin, die Ökonomin Claudia Müller, habe ich vor Kurzem kennengelernt. Sie bietet Workshops und Weiterbildungen exklusiv für Frauen zu den Fragestellungen an: Welche Rolle spielen Finanzen bei der Gleichberechtigung? Wie sichere ich mich finanziell für die Familienplanung, das Alter oder im Falle von Scheidung oder Unfall ab? Dieses Angebot aus der Zivilgesellschaft deckt einen wichtigen Bedarf. Es deckt diesen Bedarf aber vor allem, weil unsere Finanz-, Familien- und Arbeitsmarktpolitik Frauen noch viel zu stark benachteiligen. Als Finanzpolitikerin ist es mir ein Anliegen, das zu ändern. Dabei spielt ein gerechteres Steuersystem eine maßgebende Rolle. Das aktuelle, aus den 1950er-Jahren stammende Ehegattensplitting schafft finanzielle Abhängigkeit und damit Ungerechtigkeit. Der AfD-Vorschlag würde diese toxischen Effekte noch weiter verstärken. Die darin erwähnten Maßnahmen sind nicht nur familienfeindlich und reaktionär, sondern verfestigen das Armutsrisiko der Frauen und wirken sogar wachstumshemmend. Eine vernünftige Finanzpolitik für unsere Welt von heute stärkt dagegen die finanzielle Unabhängigkeit der Frauen und damit unsere Familien, unsere Wirtschaft und unsere gesamte Gesellschaft. Vielen Dank.