Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Zeichen des Protests genügt in China heute mittlerweile ein weißes Blatt Papier. „Mehr gibt es nicht zu sagen“, so bringen es die Protestierenden dort auf den Punkt. Wir erleben dieser Tage eine sehr mutige und beeindruckende Bewegung in inzwischen zahlreichen Großstädten, die größte seit den Protesten 1989 im Land, die im Tiananmen-Massaker blutig niedergeschlagen wurden. Vor dem Hintergrund der Proteste 1989, der Demokratiebewegung in Hongkong, den krassen Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren und in Tibet sollte von dieser Debatte die Botschaft an die Menschen dort ausgehen: Wir haben euch nicht vergessen. Bei all diesen Entwicklungen, auch bei den aktuellen Protesten kennt die chinesische Regierung nur eine Antwort: Menschenrechtsverletzungen, massive Polizeipräsenz, Festnahme und Einschüchterung, Zensur und Unterdrückung. Die chinesische Bevölkerung leidet unter einer gescheiterten Impfstrategie und unter der Blockade von modernen mRNA-Impfstoffen. Die großflächigen und teilweise wochenlangen harten Lockdowns helfen eben nicht gegen Omikron. Sie führen vielmehr zu gesundheitlicher und sozialer Not mit extremen ökonomischen und sozialen Folgeschäden, Produktionsausfällen und gestörten Lieferketten, die dann wiederum zur niedrigsten Wachstumsrate seit Jahren führen. – Ich komme gleich zu Ihnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein tragischer Brand mit zehn Todesopfern, bei dem die Löscharbeiten durch den rigiden Lockdown erschwert wurden, war der konkrete Auslöser der Proteste. Es geht den Protestierenden aber nicht allein um eine harte, unverhältnismäßige Lockdown-Politik. Vielmehr haben die Bürger/-innen in China gespürt, dass die chinesische Führung unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung ihre Möglichkeiten zur Kontrolle bis in den privatesten Bereich weiter ausgebaut hat. Es muss endlich aufhören, dass immer wieder auch westliche Konzerne der chinesischen Führung die Möglichkeit lassen oder sie ihr gar geben, ihren umfassenden Überwachungsapparat immer weiter auszubauen. Es ist die Unzufriedenheit über die wirtschaftlichen Probleme, über die Jugendarbeitslosigkeit, über die Immobilien- und Bankenkrise, es ist der Wunsch nach Freiheit, nach Offenheit, den die Menschen aus ihren Herzen und Köpfen auf die Straße tragen. Diese Sehnsucht, die verstehen wir, die sehen wir, und die unterstützen wir. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sind gerade die rechtsextremen politischen Kräfte, die so gerne die Autokraten hofieren und verehren und zugleich – sehr erfolglos übrigens – versuchen, eine wertegeleitete und menschenrechtsorientierte Politik ins Lächerliche zu ziehen. Wenn Sie nun den Mut und die Motivation der Menschen in China missbrauchen, damit es in Ihre Pandemie-Verschwörungsmythen-Propaganda passt, dann ist das nicht nur zutiefst zynisch und dumm, sondern eine infame Instrumentalisierung dieser mutigen Menschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn ich an die Debatten aus der Anfangszeit der Pandemie denke und an all die Besserwisser, die vorhersagten, dass autokratische Regime in der Pandemie handlungsfähiger seien, dann kann man nur sagen: Sie haben sich getäuscht. Nicht erst die aktuellen Proteste in China machen deutlich: Regime, die ihren Bürgerinnen und Bürgern Menschenrechte und Freiheiten verwehren, sind nur vermeintlich stabil. Autokratien sind eben nicht besser geeignet, um Lösungen zu finden. Sie leben in einer permanenten Angst vor der eigenen Bevölkerung. Repression und Unterdrückung sind Ausdruck von Angst; sie sind kein Zeichen der Stärke. Wie viele Autokratien handelt China aber nicht nur innenpolitisch zunehmend äußerst repressiv, auch in der Außenpolitik kennt die Kommunistische Partei vor allem eine Richtung. Die militärischen Drohungen gegenüber den Menschen in Taiwan werden immer aggressiver. Die Lage im Südchinesischen Meer wird schwieriger und gefährlicher. Wir haben es in den letzten Jahren mehr als einmal deutlich erlebt – ob bei der Klimakrise, der Pandemie oder den zahlreichen Kriegen –: Es betrifft auch unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und unseren Alltag, wenn die regelbasierte internationale Ordnung geschwächt wird und ihre grundlegenden Werte verletzt werden. Auch deshalb dürfen uns die zunehmenden Sorgen der Menschen in Taiwan nicht egal sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere außenpolitische Antwort auf die komplizierte Situation im Indo-Pazifik sollte nicht eine des Gegeneinanders sein, sondern eine des Miteinanders und der Zusammenarbeit. Deshalb wollen wir die Zusammenarbeit mit Staaten wie Japan, Australien oder Neuseeland und den vielen Partnerinnen und Partnern in Südostasien stärken. Das wird auch die China-Strategie der Bundesregierung, die Annalena Baerbock gerade erstellt, beschreiben, – – genauso wie sie Schluss machen wird mit einem Weiter-so der Vergangenheit. Sie wird die Grundlage bilden für eine China-Politik, in der Werte und Interessen nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern in der sie Hand und Hand zusammenlaufen. Vielen Dank.