Und an diesem Punkt – Herr Wadephul, Sie haben in Ihrer Rede ja schon ein bisschen darauf rekurriert – holen uns die Versäumnisse der letzten Bundesregierung ein. Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das ist der erste Satz des ersten Artikels der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, und jedes Wort dieses Satzes ist elementar. Aber es steckt ein Wort darin, das besonders Autokraten in der Welt riesige Angst macht: Alle Menschen sind frei geboren, egal ob Russinnen und Russen, US-Amerikaner/-innen, Belarussinnen und Belarussen, Iraner/-innen oder eben Chinesinnen und Chinesen. Alle Menschen tragen diesen Wunsch nach Freiheit, nach Selbstbestimmung in sich. Es gibt keine chinesischen Menschenrechte. Chinesen wollen nicht weniger frei oder weniger selbstbestimmt sein. Es ist die Kommunistische Partei Chinas, die will, dass die Menschen in China unfrei und weniger selbstbestimmt leben. Auf der ganzen Welt nutzen Autokraten wie die Kommunistische Partei Chinas, wie Xi Jinping – wir beobachten das gerade – ein ganz bestimmtes Narrativ, um ihr unterdrückerisches Regime immer wieder zu rechtfertigen: „Unsere Kultur ist eine andere“, sagen sie, Menschenrechte seien ein „westliches Konstrukt“. Diese Proteste – genau wie die Proteste im Iran – entlarven diese Erzählungen aber mehr denn je als große, als mutwillige, als menschenverachtende Lüge. Meine Damen und Herren, Menschenrechte sind kein westliches Konstrukt. Menschenrechte sind ein menschliches Konstrukt. Die Kommunistische Partei Chinas hat die chinesische Zivilgesellschaft systematisch zerstört; aber an die bürgerliche Haltung jedes einzelnen Chinesen, jeder einzelnen Chinesin kommt die Kommunistische Partei nicht heran, auch wenn das mit einem immer größer werdenden totalitären Überwachungsstaat immer wieder versucht wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das, was wir in den letzten Tagen in China sehen, sind aus meiner Wahrnehmung nicht unbedingt nur Proteste gegen die drakonische Zero-Covid-Politik von Präsident Xi. Es geht da um mehr. Die Menschen rufen: „Nieder mit Xi Jinping!“, sie rufen: „Nieder mit der Kommunistischen Partei!“, sie fordern Transparenz. Sie riskieren dafür ihre Freiheit; denn in China erfasst jede Kamera dein Gesicht, wenn du protestieren gehst, und anschließend ruft die Kommunistische Partei bei dir zu Hause an und droht dir, deiner Familie, deinen Freunden ganz unverhohlen mit Konsequenzen. Und wenn du nicht verprügelt wirst oder ins Gefängnis gesteckt wirst, dann bekommst du vielleicht keine eigene Wohnung, dann verlierst du deinen Job, den Anspruch auf Kinderbetreuung, weil das Social-Credit-System, weil das System es so will. Wie groß muss eigentlich die Überzeugung sein, wie groß muss der Druck sein, um in einem Land wie China zu demonstrieren? Den Menschen in diesem Land ist es ernst, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und wenn wir jetzt nicht mehr so viel über die Proteste hören wie noch am Wochenende, dann liegt das vor allen Dingen daran, dass der Überwachungsapparat, dass der Zensurapparat noch stärker ins Laufen gekommen ist und wirkt. Deshalb ist besonders auch internationaler Journalismus, ist die Debatte, die wir hier führen, sind Öffentlichkeit und die Aufmerksamkeit für dieses Thema elementar. Genau deshalb haben wir als Koalition diese Aktuelle Stunde hier heute auf die Tagesordnung gesetzt, Herr Wadephul, nicht zuletzt, um ein Zeichen an China zu senden: Wir sehen euch. Wir wissen, dass es euch ernst ist und dass diese Proteste nicht klein bleiben werden. Das weiß im Übrigen auch die Kommunistische Partei. Deshalb fährt sie alles auf, was der Unterdrückungsapparat zu bieten hat. Wir müssen uns hier darüber verständigen, was wir bei weiteren Eskalationen tun, wie wir damit umgehen. Genau dafür brauchen wir einen Plan. – Nein, das sage ich nicht, Herr Merz. Als wir hier vor zwei Jahren gestanden haben – da saßen Sie noch in der Mitte, da, wo wir jetzt Gott sei Dank sitzen –, als gerade das Nationale Sicherheitsgesetz in Hongkong verabschiedet worden ist, und wir gesagt haben: „Wir müssen den EU-China-Gipfel absagen, weil wir auf dieser Grundlage nicht weitermachen können wie vorher“, da lagen Sie, der Kollege Wadephul und andere Kolleginnen und Kollegen, fast unterm Tisch vor Lachen und vor Verächtlichkeit dieser Forderung gegenüber. Wir holen jetzt das nach, was Sie die letzten Jahre versäumt haben. Es wäre wichtig gewesen, dieses Problembewusstsein zu erkennen. Es wäre wichtig gewesen, eine aktive Analyse der Abhängigkeiten, der notwendigen Resilienz vorzunehmen. Stattdessen haben Sie nichts gemacht. Wir werden eine ressortübergreifende China-Strategie vorlegen, und wir werden dafür sorgen, dass die Fehler, die im Grunde durch die Nichtakzeptanz der Realität begangen wurden – – Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss –, nicht mehr gemacht werden. Der Freiheitsdrang eines jeden Individuums ist stärker als jede Ideologie, – – und ich glaube, deswegen sind die Reden, die wir hier halten, unglaublich wichtig für die Menschen, die sie nicht frei halten können. Herzlichen Dank.