Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter! Vor 66 Jahren rollten sowjetische Panzer in Budapest ein. Bis zum 11. November 1956, das ist fast genau vor 66 Jahren, schlugen die Sowjets den Volksaufstand in Ungarn gewaltsam nieder. Viele Menschen starben, Zehntausende wurden damals festgenommen, Hunderttausende flohen ins Ausland. Ministerpräsident Nagy wurde nach einem Schauprozess der Sowjets hingerichtet. Ungarn feiert den 23. Oktober – am 23. Oktober 1956 begann der Aufstand in Ungarn – als Nationalfeiertag. Die Menschen forderten damals Freiheit, wirtschaftliche und politische Reformen, ein Mehrparteiensystem, freie Wahlen, Pressefreiheit und freie Rechtsprechung. Heute diskutieren wir im Bundestag vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsmechanismus die Qualität der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Ganz konkret geht es um die Frage, ob Ungarn rechtsstaatliche Grundsätze in einer Form verletzt, die die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigt. Die Verdachtsmomente sind leider groß. Die Jahresberichte des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung, OLAF, sprechen – für mich zumindest – eine klare Sprache. Nun gibt es tatsächlich Stimmen, vor allem auf der rechten bzw. auf der ganz rechten Seite dieses Hauses, die sagen, das sei ein rein ungarisches Problem; was die Kommission mit dem Rechtsstaatsmechanismus mache, sei ein Verstoß gegen die Subsidiarität; die EU solle sich da raushalten; wir sollten uns raushalten. Meine Damen und Herren, so kommen wir mit der Europäischen Union nicht weiter! Die EU ist doch kein beliebiger Zusammenschluss zwecks Handelsabkommen – so wie die AfD das will. Die EU ist doch ganz essenziell eine Wertegemeinschaft – auch wenn die AfD das nicht will. Freiheit, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenwürde, Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit von Mann und Frau, das steht in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union. Mit seinem Beitritt hat Ungarn genau das auch unterschrieben. Das sollten Sie von der AfD sich einmal hinter die Ohren schreiben: Im Rechtsstaatsmechanismus konkretisiert und kristallisiert sich dieser Gedanke einer Wertegemeinschaft. Rechtsstaatlichkeit muss gerade auch bei der Verwendung von EU-Mitteln walten. Es ist doch letztlich unser eigenes Geld, was da gefährdet ist. Wir Freie Demokraten fordern, dass der Rechtsstaatsmechanismus ein scharfes Schwert ist. Keine Kompromisse, keine Rabatte, kein Weichspüler! Die Kommission als Hüterin der Verträge muss jetzt wirklich ganz genau hinschauen, ob und wie Ungarn es schafft – und ich wünsche es mir wirklich –, die 17 Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung umzusetzen. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn Ungarn die selbstgesetzten Ziele erreicht. Alle Maßnahmen müssen erkennbar, nachprüfbar und auf Dauer angelegt umgesetzt werden, und die Beweislast dafür liegt bei Ungarn. Von einer Vorverurteilung kann keine Rede sein, Herr Kollege Krichbaum, man wird sich selbstverständlich alles anschauen. Ein glaubwürdiges, konkretes Zeichen wäre für mich gewesen, dass Ungarn der Europäischen Staatsanwaltschaft beitritt; denn die Europäische Staatsanwaltschaft überprüft ganz genau, wie Mittel verwendet werden. Doch das ist leider für Ungarn noch kein Thema. Vielleicht wird es das ja noch. Unsere Forderungen an die Bundesregierung und an die Kommission als Leitplanken sind: Keine Kompromisse, keine Rabatte, kein Weichspüler in diesem Verfahren! Der Rechtsstaatsmechanismus soll ein scharfes Schwert werden, im Sinne der europäischen Wertegemeinschaft, für eine dauerhaft saubere Verwendung von EU-Mitteln, gegen Korruption, für Rechtsstaatlichkeit. Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.