Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Botschafter Györkös auf der Tribüne als einer der letzten Gäste heute Abend! „Schutz des Haushalts der Union vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn“ – das hört sich als Titel für diesen Tagesordnungspunkt erst mal sehr sperrig an. Wenn wir aber den Blick nur etwas weiter von Ungarn Richtung Osten richten, dann sehen wir, dass nicht zuletzt der völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine durch das diktatorische Regime Russlands unterstreicht, wie wichtig es ist, die Europäische Union als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu bewahren. Deshalb ist es auch von größter Relevanz, dass die rechtsstaatlichen Grundpfeiler der europäischen Wertegemeinschaft gestärkt werden und dass Kommission, Rat und Parlament als die europäischen Institutionen die Instrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit, die ihnen zur Verfügung stehen, auch konsequent nutzen und durchsetzen können. Es gibt Themen, die begleitet man parlamentarisch jahrelang. Immer wieder ist es mal zäh und schwierig, manchmal geht man wichtige Schritte voran, und es gibt Tage, an denen so richtig deutlich wird, dass sich was getan hat. Für mich gehört die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union genau in diese Kategorie. Ich kann mich als zuständiger Berichterstatter noch sehr gut an die Auseinandersetzungen mit Ihnen aus der CDU/CSU-Fraktion erinnern, als wir Anfang 2019 den Vorschlag für einen Bundestagsbeschluss für die Einführung einer solchen Konditionalitätsverordnung in der damaligen Großen Koalition eingebracht haben. Schließlich hatte die Unionsfraktion von CDU und CSU immer wieder ihre schützende Hand über Orban gehalten und ihn sogar mehrfach als Ehrengast auf die eigenen Parteitage eingeladen. Es stellt sich die Frage – zumindest für mich –, ob Orbans Aufstieg und der staatliche Umbau Ungarns zu einer von ihm ja auch selbst so benannten „illiberalen Demokratie“ ohne den Schutz der christdemokratischen Parteienfamilie tatsächlich möglich gewesen wäre. Die ungarische Regierungspartei Fidesz hat ihre Mitgliedschaft in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei EVP im letzten Jahr jedenfalls selbst niedergelegt und ist dort nicht herausgeworfen worden, während die massiven Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit ja nun schon seit Jahren gravierend waren. Die Tatsache, dass die Kolleginnen und Kollegen aus der Unionsfraktion diesem wichtigen Beschluss im Ausschuss, wie Kollege Krichbaum gerade erläutert hat, aus formalen Gründen nicht zugestimmt haben, offenbart aus meiner Sicht sehr deutlich, dass in Ihrer Fraktion offenbar immer noch erhebliche Loyalitäten zu Orban und seiner Fidesz-Partei vorhanden sind. 2020 war es zwar im allerletzten Moment, aber immerhin doch gelungen – das muss man Ihnen zugutehalten –, hier im Bundestag einen Beschluss über die Verknüpfung der Auszahlung von EU-Geldern mit der Einhaltung von Rechtsstaatskriterien hinzubekommen. Das war verdammt knapp vor Ende der damaligen deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020, während der die Verhandlungen zum siebenjährigen europäischen Finanzrahmen und zum Konditionalitätsmechanismus zu Ende gebracht werden mussten. Aber immerhin konnten wir damals unserer Bundesregierung ein parlamentarisches Votum mit nach Brüssel auf den Weg geben. Zähen Verhandlungen im Rat – insbesondere für Heiko Maas und unseren Staatsminister für Europa, Michael Roth, zu der Zeit – folgte zum Jahresende 2020 tatsächlich endlich der Beschluss für die Verordnung zum Schutz des Haushalts der Europäischen Union, und damit ging es endlich einen wichtigen Schritt voran. Indem der Erhalt von EU-Mitteln mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Standards verknüpft wurde, wurden die Möglichkeiten der EU zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit erweitert und verstärkt. Am 27. April dieses Jahres eröffnete die Kommission dann erstmalig endlich ein offizielles Verfahren gegen Ungarn auf Grundlage des Konditionalitätsmechanismus – ein Tag, an dem endlich deutlich wurde, dass sich etwas getan hat. Das war ein Meilenstein für die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Systematische Unregelmäßigkeiten in öffentlichen Vergabeverfahren, ein hoher Anteil von Einzelausschreibungsverfahren, geringer Wettbewerb bei Vergabeverfahren, massive Probleme bei der Aufdeckung, Vermeidung und Korrektur von Interessenkonflikten und die mangelnde Bereitschaft bei der wirksamen Korruptionsbekämpfung: das sind Feststellungen, mit denen die EU-Kommission die vorläufige Einbehaltung von EU-Geldern stichhaltig begründete. Die ungarische Regierung versucht nun aktuell mit 17 Reformankündigungen, diese greifbar drohende Mittelzurückhaltung abzuwenden. Der Rat der Europäischen Union muss bis kurz vor Weihnachten dazu befinden. Angesichts des langjährigen systematischen Abbaus der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und der damit bereits eingetretenen negativen Auswirkungen auf die finanziellen Interessen der Europäischen Union scheint es zumindest für mich absolut fraglich, ob eine umfassende, praktisch wirksame Korrektur der festgestellten Rechtsstaatsverletzungen innerhalb dieser kurzen Frist – sozusagen bis Weihnachten – tatsächlich möglich ist und auch wirklich sichtbar wird; darauf hat die Kollegin Kopf zu Recht hingewiesen. Mit dem Rechtsstaatsdialog, dem sogenannten Artikel‑7-Verfahren, das Kollege Krichbaum angesprochen hat, mit den Berichten zur Rechtsstaatlichkeit und mit dem EU-Justizbarometer gibt es bereits einige Instrumente zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union. Die meisten haben sich in der Vergangenheit leider als zahnlos erwiesen. Für uns ist deshalb ganz entscheidend, dass sich die Konditionalitätsverordnung zum Schutz des EU-Haushalts vor Mängeln bei der Rechtsstaatlichkeit bei dieser ihrer erstmaligen Anwendung auch wirklich als effektives Instrument erweist. Darauf arbeiten wir mit diesem Beschluss hin. Wir fordern die EU-Kommission mit dieser Stellungnahme und dem Beschluss nach Artikel 23 Grundgesetz im federführenden EU-Ausschuss über diesen offiziellen Weg im Zuge der Mitwirkung in EU-Angelegenheiten dazu auf, besonders sorgfältig vorzugehen und unbedingt auf die nachhaltige, tatsächliche Abhilfe durch Ungarn zu bestehen, sonst kommen wir hier nicht voran. Sollten die praktische Umsetzung und die Wirksamkeit der Maßnahmen, die die ungarische Regierung anbietet, in der abschließenden Beurteilung durch die Kommission nicht uneingeschränkt bestätigt werden, dann fordern wir die Bundesregierung dazu auf, im Rat für die Zurückhaltung von Zahlungen in Milliardenhöhe an Ungarn aus dem EU-Haushalt zu stimmen. Mir wäre es am liebsten, wenn unsere rechtsstaatlichen Grundlagen gar nicht erst derart infrage gestellt würden, dass sie den gemeinsamen europäischen Haushalt bedrohen. Wenn es notwendig ist, dann sind wir aber bereit, die rechtsstaatlichen Grundlagen unserer Demokratien in Europa gegen autoritäre und illiberale Bestrebungen zu verteidigen. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.