Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich werde oft richtig wütend, wenn ich Auto fahre. Da reicht es, dass jemand meine Spur schneidet oder, noch schlimmer, Tempo 90 fährt. Dann werfe ich in meinem Auto mit schlimmsten Beleidigungen um mich. Sollte sich jemand vor mir auf die Straße kleben, wenn ich zur Arbeit muss, würde ich richtig ausrasten. Und ich kann verstehen, dass es noch gefährlicher wird, wenn Rettungswege behindert werden. Ich verstehe also jeden, der da wütend ist, auch wenn sich bei mir, ehrlich gesagt, gar niemand auf die Straße klebt. Was ich aber nicht verstehe, ist, wenn Parteien versuchen, Wut auszunutzen, weil sie damit Stimmen sammeln wollen. CDU und CSU beantragen heute höhere Strafen für Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten. Ich will Ihnen erklären, warum das auch für Sie gefährlich ist. Erstens. Die Kriminalwissenschaft sagt ganz klar: Diese Erhöhungen des Strafmaßes schrecken nicht ab. Bei höheren Strafen kriegen wir oft höhere Rückfallquoten. CDU und CSU würden unser Land damit nicht sicherer machen, vielleicht sogar unsicherer. In den USA sind sehr viel mehr Leute im Gefängnis als in Deutschland. Aber Deutschland ist das deutlich sicherere Land. Haftstrafen sind oft die falsche Stellschraube. Verstehen Sie mich richtig: Wer unsere Straßen blockiert und Kunstwerke beschädigt, muss bestraft werden. Aber dafür haben wir schon angemessene Strafen. Wenn wir jetzt politisch in unser Strafrecht eingreifen, dann kann es am Ende für uns alle gefährlich werden. Bayern hat vor fünf Jahren ein gefährliches Gesetz eingeführt, um islamistische Gefährder zwei Monate in Präventivhaft nehmen zu können, also um Straftaten im Vorhinein verhindern zu können. Wir haben dagegen demonstriert und mussten uns anhören: Ihr nehmt Terroristen in Schutz. Das ist unverschämt. – Inzwischen sitzen in München junge Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten in dieser sogenannten Präventivhaft, die doch eigentlich für islamistische Terroristen gedacht war. Bayern will ein Zeichen setzen. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wer weggesperrt würde, wenn die Herren von der AfD eine Landesregierung stellen würden. Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Die „Letzte Generation“ tut falsche, rechtswidrige und gefährliche Dinge. Aber in Deutschland dürfen wir nie wieder Leute wegsperren, nur weil es den Mächtigen politisch hilft. Das muss ganz klar sein. Die CDU will heute das Zeichen setzen, sie sei der Schutzwall vor den Chaoten. Dabei bringen Sie das Chaos in den Rechtsstaat. Im letzten Winter sind bei mir in der Gegend die Montagsdemos aus dem Ruder gelaufen. In Albstadt standen unangemeldete Querdenkerdemos auch in den Rettungszufahrten des Krankenhauses. Wo waren da die Forderungen nach Strafverschärfung? Oder: Wo waren die Forderungen nach Strafverschärfung, als die Flüchtlingsheime brannten? Oder – anderes Beispiel –: Wir hatten letztes Jahr in Deutschland über 13 800 schwere Verkehrsunfälle, weil Leute mit Rausch im Kopf Auto gefahren sind. Da gab es keine Kampagne der CDU. Kann es sein, dass es sich im Bierzelt einfach besser gegen Klimaschutz als gegen Alkohol hetzen lässt? Anderes Beispiel. Alle vier Minuten wird in Deutschland jemand Opfer von Gewalt zu Hause. In fast allen Fällen sind das Frauen. Hier häufen sich die Verbrechen. Was macht Ihr CDU-Vorsitzender? Bei seiner Parteitagsrede erwähnt er diese Gewalt mit keiner Silbe, findet aber zweieinhalb Minuten Zeit, um übers Gendern zu philosophieren. Anderes Beispiel. Sie hetzen seit Wochen gegen das Bürgergeld und wollen, dass Leute, die gerade ihren Job verloren haben, härtere Vorschriften bekommen. Viele von Ihnen hetzen dagegen, dass Leute, die nichts haben in dieser Krise, 53 Euro im Monat mehr bekommen. Aber wenn Millionäre jedes Jahr zusammen Milliarden Euro an Steuergeld rechtswidrig hinterziehen – Geld, das wir für Straßen, Schulen und Krankenhäuser brauchen –, gibt es keine CSU-Facebook-Posts gegen die „Millionärs-RAF“. Liebe CDU, Sie bekämpfen nicht das Chaos, Sie schaffen hier Chaos. Also gut. Ja. Also, ich hatte ja schon geantwortet: Ja. Damit haben wir das geregelt. Gut. Wenn es immer so schnell ginge! Lassen Sie mich mit zwei Bitten enden. Erstens. An alle, die zuschauen: Ich verstehe, dass CDU/CSU und AfD – – Nein, ich glaube, so schnell kommen wir nicht mehr durch. – Ich verstehe, dass CDU/CSU und AfD ihre Wut manchmal besser in den Bundestag transportieren als wir. Wir teilen ihre Wut, aber wir finden, der Bundestag, in dem Gesetze entstehen, ist vielleicht der falsche Ort für Wut. Wenn wir aus Wut unsere Justiz beeinflussen, schaffen wir Chaos, und ein chaotischer Rechtsstaat kann auch Sie gefährden, auch wenn Sie gar nichts tun. Nicht nur die CDU und CSU handeln aus Wut, sondern die sogenannte „Letzte Generation“ auch. Es ist in beiden Fällen falsch. Es ist dumm, Leute wütend auf den Klimaschutz zu machen, wo wir doch die Zustimmung brauchen. Seien Sie klug! Ich klebe meine Hand nirgends fest, sondern hebe Sie im Bundestag für die größte Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die es in der Geschichte gegeben hat. Der Rechtsstaat braucht keinen CDU-Populismus, der Klimaschutz braucht keine Straßenblockierer. Lassen Sie die Wut im Bauch und uns Probleme wieder mit dem Kopf lösen! Haben Sie vielen Dank.