Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der Folgen, die dieser Krieg mittlerweile auch für unser Land hat, steht die Europäische Union in diesen Wochen und Monaten möglicherweise vor der größten Bewährungsprobe ihrer Geschichte. Wir können daher alle nur hoffen, dass die 27 Staats- und Regierungschefs heute und morgen in Brüssel zu guten und tragfähigen Lösungen kommen. Herr Bundeskanzler, wir wünschen Ihnen und Ihren Amtskolleginnen und Amtskollegen in der Europäischen Union bei den anstehenden Beratungen jeden möglichen Erfolg. Europa braucht diesen Erfolg. Unser Land, Deutschland, braucht diesen Erfolg. Vor allem aber die Menschen, die privaten Haushalte und die vielen Unternehmen – die kleinen, die mittleren und die großen – brauchen jetzt schnelle und wirksame Hilfe. Es sollte dabei auch klar sein, welche Aufgaben die Europäische Union übernimmt, was sie leisten kann und muss, was Europa jetzt ausdrücklich nicht tun sollte und was zwingend in der Verantwortung und der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben muss. Lassen Sie mich dazu etwas ausführlicher sprechen. Meine Damen und Herren, die notwendigen Sanktionen gegen Russland – und Sie haben, Herr Bundeskanzler, darüber ausführlich gesprochen – gehen nur gemeinsam. Hier hat Europa in der Tat in den letzten Wochen und Monaten eine große Geschlossenheit und eine große Entschlossenheit gezeigt. Europa hat diese Bewährungsprobe bestanden, auch in enger Abstimmung und Kooperation mit anderen, vor allem mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Auch die finanziellen und humanitären Hilfen für die Ukraine gehen jedenfalls weitgehend nur gemeinsam. Auch hier hat die Europäische Union wirkungsvoll und zielführend geholfen. Es wäre schließlich wünschenswert gewesen, meine Damen und Herren, wenn auch die militärische Hilfe europäisch abgestimmt und in der Europäischen Union koordiniert vorgenommen worden wäre. Ich sage von dieser Stelle aus zum wiederholten Male: Wir hätten es für richtig gehalten, wenn die ukrainische Armee auch mit Schützenpanzern und Kampfpanzern westlicher Bauart ausgestattet worden wäre, abgestimmt in der Europäischen Union, so wie viele Mitgliedstaaten es befürworten, so wie eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen insbesondere aus der Grünenfraktion und aus der FDP-Fraktion es befürworten, so wie wir es befürworten. Dieser Krieg wäre dann möglicherweise schneller zu Ende gewesen. Nun zu den Energiepreisen. Herr Bundeskanzler, Ihrer Regierungserklärung können die Zuhörerinnen und Zuhörer heute Morgen, die betroffenen privaten Haushalte, die Unternehmen in Deutschland und darüber hinaus kaum etwas Konkretes entnehmen, wann ihnen denn nun endlich geholfen wird. Sie haben auch wenig bis gar nichts zum Arbeitsprogramm der Kommission gesagt, das gestern vorgelegt worden ist. Meine Damen und Herren, bei diesem Arbeitsprogramm muss man den Eindruck gewinnen, dass in der Europäischen Kommission bis auf eine einzige Ausnahme – das ist die sogenannte Chemikalienverordnung – in allen Bereichen der Apparat weiter läuft und läuft und läuft und jede Woche und jeden Monat neue Richtlinien, neue Verordnungen, neue Belastungen vor allem für die Unternehmen in Europa auslöst. Wir haben Ihnen den konkreten Vorschlag – Sie haben es ja in das nationale Programm aufgenommen – eines Belastungsmoratoriums gemacht. Warum sprechen Sie jetzt nicht auch über ein Belastungsmoratorium in der Europäischen Union? Warum lassen Sie zu, warum befördert Ihre Regierung, dass in der Europäischen Kommission von Woche zu Woche weitere Vorschläge zu Belastungen für die Unternehmen gemacht werden, bis hin zu einer CSR-Richtlinie, die die Berichtspflichten der Unternehmen gerade jetzt in dieser Krise endgültig zu einem bürokratischen Monstrum werden lässt? Wir brauchen jetzt ein Belastungsmoratorium für die Unternehmen in der Europäischen Union und damit auch in Deutschland. Dann bleiben tatsächlich zahlreiche Aufgaben in der nationalen Verantwortung. Meine Damen und Herren, Herr Bundeskanzler, Sie fahren in dieser Hinsicht heute und morgen nicht gerade mit gutem Vorbild nach Brüssel. Im Gegenteil: Deutschland dürfte in Brüssel als das Land in Europa bewertet werden, dessen Regierung in den letzten Monaten am heftigsten gestritten und mit am wenigsten bei der Entlastung der privaten Haushalte und der Unternehmen erreicht hat. Dieser Krieg dauert in wenigen Tagen schon acht Monate. Wenn man dem Glauben schenkt, was Sie auf Verbandstagungen – wie gerade vor wenigen Tagen hier in Berlin – sagen, dann wissen Sie ja schon sehr viel länger, welche Folgen dieser Krieg möglicherweise haben kann. Sie haben hier in Berlin vor wenigen Tagen gesagt: „Ich war mir immer sicher, dass er“ – Putin war gemeint – „das tun würde“, nämlich Energielieferungen als Waffe einzusetzen. Und dann haben Sie gesagt: Sie nehmen Bezug auf eine Besprechung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bundeskanzleramt im Dezember 2021. „Ich war mir immer sicher, dass er das tun würde.“ Herr Bundeskanzler, wenn Sie sich im Dezember 2021 schon sicher waren, dass er das tun würde, warum haben Sie dann eigentlich bis zum Kriegsbeginn an Nord Stream 2 festgehalten und das zu einem privatwirtschaftlichen Projekt erklärt? Und warum haben Sie dann eigentlich nicht Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Europäischen Union von dieser klugen Erkenntnis berichtet, damit man schon im Dezember 2021 an Maßnahmen zur Bewältigung dieser Krise hätte denken können? Sie haben zu Beginn Ihrer Regierungserklärung von Clausewitz zitiert. Herr Bundeskanzler, von ihm stammt auch der schöne Satz: „Das Wissen muss ein Können werden.“ Das hätten wir von Ihnen auch erwartet. Sie haben eine Gaskommission um Vorschläge zur Dämpfung der Gaspreise und zur Lösung dieses Problems gebeten. Diese Vorschläge liegen nun seit Anfang der letzten Woche vor. Wir haben in dieser und in der letzten Woche zwei Sitzungswochen des Deutschen Bundestages. Sie haben heute nicht einen einzigen Vorschlag unterbreitet, welche Schlussfolgerungen denn aus den Vorschlägen zur Lösung des Problems bei der Gasbeschaffung und bei den Gaspreisen gezogen werden sollen. Es bleibt völlig offen, wie denn diejenigen privaten Haushalte, die noch mit Öl heizen oder die zum Beispiel gerade eine Pelletheizung angeschafft haben, konkret entlastet werden sollen. Damit kein Missverständnis entsteht: Wir befürworten hier weitestgehend gemeinsame europäische Wege; aber es gibt Verantwortung im nationalen Zusammenhang, der Sie nachkommen müssen und die die Europäische Union überhaupt nicht übernehmen kann. Diese Fragen gehören dazu, und diese Fragen bedürfen der Beantwortung im Deutschen Bundestag und nicht auf der Ebene des Europäischen Rates. Wenn Sie jetzt als einziges Datum, zu dem die privaten Haushalte und die Unternehmen Entlastungen erwarten dürfen, das Frühjahr 2023 nennen, dann kann ich Ihnen nur sagen, Herr Bundeskanzler: Winterreifen muss man im Oktober aufziehen und nicht erst im Frühjahr des nächsten Jahres. Jetzt brauchen die Menschen und die Unternehmen in Deutschland eine klare Perspektive, jetzt brauchen die Menschen und die Unternehmen in Deutschland eine klare Antwort, wann sie – möglichst bald in den nächsten Tagen und Wochen – mit konkreter Entlastung rechnen dürfen. Deswegen will ich abschließend sagen: Die besten Beschlüsse in Brüssel bewirken überhaupt nichts, wenn die Bundesregierung in Deutschland nicht schnell zu wirksamen Entlastungen für private Haushalte und für die Unternehmen kommt, von denen die meisten nicht mehr lange Zeit haben. Herzlichen Dank.