Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit Februar leben wir in einer neuen Realität. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine befindet sich Deutschland in einer nie dagewesenen Energiekrise. Gedrosselte und ausbleibende Gaslieferungen und explodierende Strom- und Gaspreise, über all das diskutieren wir seit Februar. Und seit Februar diskutieren wir in Deutschland über die Notwendigkeit der Laufzeitverlängerung bei den Atomkraftwerken. Warum unsere AKWs weiterbetrieben werden müssen, hat der EU-Kommissar Breton für unsere Nachbarländer auf den Punkt gebracht: Man kann nicht sagen, dass ich nicht das mache, was ich machen könnte, aber erwarte, dass andere liefern, was ich brauche. Auch die fünf Wirtschaftsweisen fordern, die Atommeiler bis zum Ende der Energiekrise weiter zu betreiben. Und mehr als jeder Zweite in Deutschland ist offen für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke sogar über das Jahr 2024 hinaus. Und die Antwort des Bundeskanzlers auf die Atomfrage? Fahrlässig hat er die Debatte monatelang laufen lassen. Statt zu führen, begab er sich ohne Not in die Geiselhaft der Grünen, die aus rein ideologischen Gründen den Fortbetrieb der letzten drei AKWs blockieren – und das alles nur, um den Gründungsmythos der Grünen unangetastet zu lassen. Diese Ampelregierung ist durch den Streit um die Atomkraft nach nicht einmal einem Jahr massiv beschädigt. Inmitten der größten Wirtschafts- und Energiekrise ist diese Regierung uneinig, hilflos und nur bedingt handlungsfähig. Noch am 11. August antwortete der Bundeskanzler auf die Frage zu seiner Richtlinienkompetenz: „Es ist gut, dass ich sie habe. Aber natürlich nicht in der Form, dass ich jemandem einen Brief schreibe“. Nun, am Montag hat der Bundeskanzler einen Brief geschrieben und seine Richtlinienkompetenz ausgeübt. Findet den Fehler! Die Kernkraftwerke sollen jetzt bis Mitte April nächsten Jahres weiterlaufen. Aber: Wie souverän regiert der Kanzler, der nach gerade mal zehn Monaten im Amt seinen drei Ministern in einem Brief mitteilen muss, was zu tun ist? Wie steht es um die Autorität des Kanzlers, der mit der Ausübung der Richtlinienkompetenz fast sein gesamtes Pulver verschießt? Und was bedeutet das eigentlich für die zukünftige Handlungsfähigkeit dieses Kanzlers? In den letzten Jahrzehnten war die öffentlich ausgeübte Richtlinienkompetenz lediglich die ultimative Drohung. Ich sage Ihnen: Das kann ein Kanzler nur einmal machen, danach kommt nur noch die Vertrauensfrage. Herr Scholz, Sie halten diese Regierung nicht durch Führung auf Augenhöhe zusammen, sondern nur noch mit Ihrer Richtlinienkompetenz, und das für läppische dreieinhalb Monate Streckbetrieb. Mit Ihrer späten Entscheidung verringern Sie gerade mal das unmittelbare Risiko einer Stromknappheit in diesem Winter, mehr nicht. Längerfristig hilft uns das kein Stück weiter; denn Sie unterlassen es vorsätzlich, jetzt neue Brennelemente zu bestellen. Und wegen der langen Lieferzeiten ist damit endgültig klar: Wir haben im Winter 2023/24 noch weniger gesicherten Strom zur Verfügung als in diesem Winter. Und woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass die Energiekrise am 15. April 2023 endet? Wir brauchen mindestens drei laufende Kernkraftwerke bis Ende 2024 und sofort neue Brennstäbe. Allein der Weiterbetrieb von drei Kernkraftwerken senkt den Strompreis um bis zu 12 Prozent. Die Ampel könnte übrigens noch etwas für Bürger und Märkte tun: uns endlich mal darüber aufklären, wie viel LNG aufgrund verbindlicher Lieferzusagen eigentlich nach Deutschland kommen wird. Auch das ist ja für die Versorgungssicherheit dieses Landes nicht ganz unwichtig. Meine Damen und Herren, wie gern wünschte ich mir, dass ich hier im Frühjahr stünde und Ihnen zum Abschluss sagen könnte: Nutzen Sie die nächsten Monate, um Versorgungssicherheit zu schaffen! Jetzt kann ich Ihnen nur noch zurufen: Winter is coming.