Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Professor Ganten! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, die Sie sich auch an einem Freitagnachmittag noch hier auf die Tribünen des Plenarsaals begeben haben, um unseren Debatten zu lauschen! Der Namenspatron des neu ins Leben gerufenen Virchow-Preises für Globale Gesundheit, Rudolf Virchow, hat stets versucht, einem wichtigen Aspekt Aufmerksamkeit zu verschaffen, und zwar dem, dass Gesundheit und Krankheit mit den Lebensbedingungen der Menschen eng in Zusammenhang stehen. Nun, 120 Jahre nach seinem Tod, hat sich die Welt sehr verändert; aber diese Kernaussage stimmt nach wie vor. Wir haben sie mittlerweile um das Konzept von „One Health“ erweitert, also um die Erkenntnis, dass Umweltgesundheit, Tiergesundheit und menschliche Gesundheit eng zusammengedacht werden müssen. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels, mit Umweltveränderungen und dem Biodiversitätsverlust – Entwicklungen, die wir in Kauf genommen haben – haben wir selbst zu einer Welt beigetragen, die die Lebensgrundlagen von Menschen existenziell bedroht und zerstört. Dürren, Überschwemmungen, Zoonosen, Hunger und Armut sind die Folge und vor allem im Globalen Süden spürbar. Heute sind das die größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit und damit die größten Bedrohungen für unser aller Wohlergehen und Leben. Es ist höchste Zeit, dieser Dramatik mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns in all diesen Feldern entschiedener handeln. Die Covid‑19-Pandemie hat auf vielfältige Art und Weise die Lage in den Ländern des Globalen Südens noch verschärft. Man spricht auch von einer Polypandemie, weil eine Vielzahl von unterschiedlichen Bereichen betroffen ist und sich die Lebensbedingungen in vielen Bereichen enorm verschlechtert haben. Die Covid‑19-Pandemie hat die Armutsspirale neu entfacht. Die Prävention und die Behandlung von zahlreichen Krankheiten wie HIV und Aids, Tuberkulose und Malaria mussten massive Rückschritte verzeichnen. Bisher schon strukturell schwache Gesundheitssysteme wurden weiter geschwächt. Besonders betrifft das die Gesundheitsbedürfnisse von Frauen und Mädchen, insbesondere im Bereich ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte. In 18 Ländern ist ein enormer Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit zu beobachten. Es sind verheerende Rückschritte in der Bekämpfung genderbasierter und sexualisierter Gewalt zu sehen. Um das an einigen Beispielen konkret zu machen und mit Zahlen zu unterlegen: Durch weniger Präventionsprogramme im Zuge der Pandemie werden bis 2030 vermutlich 2 Millionen zusätzlicher Fälle weiblicher Genitalverstümmelung und 10 Millionen zusätzlicher Kinderheiraten erwartet. Das sind wahnsinnig schockierende Zahlen. Wir müssen alles dafür tun, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Dingen rasch entgegenzuwirken und für die Zukunft vorzusorgen. Es muss deshalb Priorität haben, Gesundheitssysteme im Globalen Süden mit noch mehr Engagement zu unterstützen, sie zu stärken und widerstandsfähig für zukünftige Herausforderungen zu machen, auch die klimabedingten. Ich bin sehr froh, dass unser Gesundheitsministerium hier vorangeht und dass das Thema „Gesundheitssysteme international stärken“ auch ein Schwerpunkt der deutschen G‑7-Präsidentschaft ist. Gerade unsere Ministerien, das BMG, das BMZ, leisten hier hervorragende Arbeit. Lassen Sie uns sicherstellen, dass wir das in den Haushaltsverhandlungen adäquat unterstützen. Ich sage im Hinblick auf zukünftige Pandemien aber auch ganz deutlich: Wir dürfen es nie wieder zulassen, dass in reichen Ländern in einer Pandemie junge, gesunde und damit weniger gefährdete Menschen schon geimpft werden, während das Gesundheitspersonal in armen Ländern für lange Zeit völlig ungeschützt ist und das eigene Leben riskiert. Das war eine der wichtigsten Fragen der internationalen Solidarität dieses Jahrzehnts, und wir hätten sie besser beantworten müssen. Das hat Vertrauen gekostet, und dieses Vertrauen müssen wir zurückgewinnen. Das ist nun ebenfalls eine Frage internationaler Verantwortung. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass globale Lieferketten gerade in einer globalen Krise funktionsfähig bleiben. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass gerade im Pandemiefall wichtige Arzneimittel auf allen Kontinenten produziert werden können und in ausreichenden Mengen sowie zu bezahlbaren Preisen zugänglich sind. Der WHO-Hub für mRNA-Technologietransfer und der Medicines Patent Pool können hier eine wichtige Rolle spielen. Das unterstützt auch noch mal das deutsche Engagement in diesen Fragen. Eine Nebenbemerkung mache ich hier, obwohl ich weiß, dass diese Debatten nicht so richtig von Erfolg gekrönt sind: An dieser Stelle gegen die WHO als eine der wichtigsten Gesundheitsorganisationen, die wir haben, zu bashen und eben nicht anzuerkennen, was für eine große Rolle sie im Rahmen der Pandemiebekämpfung spielt, und stattdessen Verschwörungstheorien zu verbreiten, ist genau das, was uns als internationale Gemeinschaft nicht stärkt. Wir hier vor Ort können froh sein, wenn uns diese Organisation mal wieder den Hintern rettet, meine Damen und Herren. Wir haben alles richtig gemacht, indem wir sie gestärkt haben. Auch dafür bin ich mehr als dankbar. Nein, vielen Dank. Die Rede haben wir ja gehört. – Ich finde – ich weiß, der Satz ist viel zitiert –: Gesundheit darf kein Luxus sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen sollten Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln auch dann in ausreichendem Maße betrieben werden, wenn sie keinen großen Gewinn versprechen. Für viele Krankheiten im sozialen Süden gibt es schon seit Jahrzehnten einen Mangel an adäquaten Impfstoffen, Diagnostika und Medikamenten. Der eklatante Mangel an neuen, effektiven Antibiotika stellt auf der ganzen Welt, selbst hier in Deutschland, derzeit eine Gefahr für die moderne Medizin dar, die dringend angegangen werden muss. Und ja, ich glaube, es ist besser, sich an den Inhalten zu orientieren, als meine Versprecher zu thematisieren. Das ist übrigens hier vorne störend. Ich bin aber auch der Ansicht – das möchte ich ebenfalls sagen –, dass die öffentliche Hand – das hat uns die Pandemie gezeigt – in der Folgezeit ein bisschen mehr mitreden können muss, wie viel ein Medikament am Ende kosten darf und welche Gewinne adäquat sind, vor allem wenn die Gesellschaft die Entwicklung maßgeblich mitfinanziert und wenn Menschen im Globalen Süden diese Medikamente unbedingt brauchen. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die SDGs, sind ein weltumspannendes Abkommen mit der Maxime, 2030 die Lebensbedingungen aller Menschen weltweit zu verbessern und damit ein Fundament für ein gesundes und würdevolles Leben zu bieten. Das war Virchows Ansinnen. Der neu ins Leben gerufene Virchow-Preis für Globale Gesundheit will zu diesen großen Ideen anspornen und herausragende Beiträge auszeichnen, die dem Wohle der Menschen dienen. Das brauchen wir heute mehr denn je. Wir wünschen diesem hehren Vorhaben alles Gute und viel Erfolg. Vielen Dank.