- Bundestagsanalysen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mein Gott, Herr Merz, dass ich das noch mal sage: Hätten Sie nur die gesamte Redezeit für die CDU/CSU zu dieser Debatte genutzt.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Der Bericht ist super; bitte lassen Sie ihn so, Herr Staatsminister. Er enthält nicht wieder nur Daten und Fakten. Ich empfehle wirklich allen, insbesondere den Teil A zu lesen. Ich würde ihn geradezu zur Pflichtliteratur für jeden Bundestagsabgeordneten machen. Danach werden Sie den Osten besser verstehen. Denn es ist natürlich noch so: 32 Jahre nach der Wiedervereinigung haben wir ein nur bruchstückhaftes gegenseitiges Verstehen der Gefühlswelten in Ost und West. Wir haben ja auch andere Biografien hinter uns. Das ist kein einseitiger Vorwurf, sondern ich meine das durchaus, wie wir früher sagten: ’nüber und rüber.
Ich war erst kürzlich wieder in einer Situation, die das ganz gut beschreibt. Ich habe nämlich versucht, die Besonderheiten der Brüche und der Verluste im Osten, die Infragestellungen im Leben nach 1990, die Größe und das Ausmaß der in jeden Winkel des Lebens der Familien und des Alltags kriechenden Veränderungen zu erklären und zu beschreiben. Und dann bekomme ich fast trotzig die Antwort: Aber es ist schon eine Erfolgsgeschichte. – Wenn ich dann antworte: „Ja“, komme ich aber gar nicht weiter, um zu erklären, was ich weiter meine. Wenn ich ansetze, weiterzureden, dann kommt: Aber das ist doch schon das Wichtigste. Und im Übrigen: Im Westen hat sich auch ganz viel verändert. – Wenn es doch eine Erfolgsgeschichte ist, dann brauche ich mich ja nicht auf die Gefühlswelt des Volkes dahinter einzulassen.
Aber genau das ist der Fehler. Denn die Antwort lautet: Ja, das ist eine Erfolgsgeschichte; und nein, wir haben nicht alles richtig gemacht. – Neben Daten, Fakten und Situationen gibt es auch noch die Gesellschaft, und die Gesellschaft hat so was wie eine kollektive Seele. Als ich das erste Mal von kollektiven gesellschaftlichen Traumata gelesen habe, habe ich an Kriegserfahrungen von Völkern gedacht, an Holocaust. Als ich es zum ersten Mal in Verbindung mit der Wiedervereinigung gehört habe, habe ich das ganz weit von mir gewiesen.
Heute denke ich anders darüber: Auch eine gute und richtige Entwicklung und gute und richtige Ergebnisse wie die Wiedervereinigung können durch die Strukturbrüche, die diesen Prozess begleiten, zu gesellschaftlichen und nicht nur zu individuellen Verletzungen führen. Das ist verdammt gefährlich, und das sehen wir überall. Natürlich können die Ostdeutschen Demokratie – wir haben sie uns sogar im Gegensatz zu den Westdeutschen selber erkämpft –; aber Ostdeutsche erwarten mehr und anderes davon. Auch das ist ein Teil der Wahrheit.
Es ist nun aber unsere Aufgabe, nicht nur zurückzublicken und Gegenwart zu beschreiben, sondern auch eine gemeinsame Zukunft zu ermöglichen. Was also tun? Ich will das mal holzschnittartig in drei Punkten beschreiben:
Erstens. Die Leistung der Ostdeutschen der letzten 32 Jahre wirklich anerkennen.
Zweitens. Uns darüber verständigen, dass wir Gemeinsames, Neues auf Augenhöhe wollen.
Drittens. Vereinbaren, was das Neue, Gemeinsame ist.
Dafür braucht man Orte. Dafür braucht man Prozesse. Dafür braucht man Forschung, Entwicklung, Wissenschaft, Kunst, Kultur, Bürgerdialoge. Ein solcher Ort wird das „Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ sein.
Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)