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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ostdeutschland. Ein neuer Blick“, so hat der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland den Bericht überschrieben. Und ich finde, wir sollten auch einen neuen Blick wagen.
Um es bei der beschränkten Redezeit, die wir heute für dieses wichtige Thema haben, kurz abzuhandeln: Der Antrag der Linken wird diesem Anspruch, mal einen neuen Blick zu wagen, nun wirklich nicht gerecht. Die Themen sind sehr wichtig: Inflation und Armut, Löhne und Renten, wirtschaftliche und finanzielle Fragen; wahrlich. Allerdings beschäftigen wir uns auch in vielen anderen Tagesordnungspunkten hier im Hause genau mit diesen wichtigen Themen wie Inflation bekämpfen, wirtschaftliche Substanz sichern und vielem mehr. Die Fragen der deutschen Einheit erschöpfen sich allerdings nicht in Statistiken und Fragen von Geld und Finanzen; da gehört noch sehr viel mehr dazu.
Allerdings will ich sehr wohl zu den wirtschaftlichen Fragen, weil sie mit Blick auf Ostdeutschland wichtig sind, etwas sagen – wenn auch mit ganz anderem Akzent. Denn gerade die Menschen im Osten unseres Landes, die erst vor 32 Jahren die Chance bekommen haben, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen sich auch selbstständig zu machen, die Früchte ihrer Arbeit unter Wettbewerbsbedingungen zu ernten, gerade die haben ein Gespür dafür – vielleicht mehr als manche andere –, dass unser Land kein Abo auf Wohlstand hat, sondern dass das Voraussetzungen hat, die wir sichern müssen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Gerade die Menschen im Osten unserer Republik wissen: Strom kommt nicht aus der Steckdose und Wohlstand nicht aus der Geldpresse. Genau deshalb haben sie ein Gespür dafür, was wir jetzt tun müssen.
Setzen Sie sich mal damit durch!)
Inflationsbekämpfung als große Priorität. Genau daran arbeiten wir. Deshalb müssen wir bei der kalten Progression zum Beispiel genauso konsequent sein. Wir müssen übrigens Eigentums- und Vermögensbildung erleichtern. Ich glaube allerdings, dass Ludwig Erhard vor allem geschaut hätte, was wir hier eigentlich für Regulierungen machen. Fragen wir uns bei jedem Gesetz, das wir hier beschließen, ob es Eigentums- und Vermögensbildung in breiten Schichten unserer Bevölkerung erleichtert oder erschwert? Das wäre eine wichtige Prüffrage, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Katrin Zschau [SPD] und Kassem Taher Saleh [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Gerade weniger Bürokratie, ein Planungsrecht, das mehr ermöglicht als verhindert, und Regulierungen, die nicht nur große Unternehmen mit Rechtsabteilungen, sondern auch Existenzgründer und Mittelstand bewältigen können, das ist gerade für Ostdeutschland wichtig.
Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Damit die vielen, die nach der Wiedervereinigung so motiviert waren und sich selbstständig gemacht haben, jetzt auch andere finden, die motiviert und bereit sind, ihre Unternehmen zu übernehmen, brauchen wir bessere Rahmenbedingungen in unserem Land. Um all das geht es.
Zugleich möchte ich ansprechen, dass es nicht nur um Wirtschaft und Finanzen geht, sondern noch um einiges mehr, was in den letzten 30 Jahren zu kurz gekommen ist, wie etwa die Frage: Wie reden wir miteinander und übereinander? Wenn zusammenwachsen soll, was zusammengehört, dann müssen wir uns bewusst machen, dass 40 Jahre der Teilung auch eine längere Zeit der Heilung benötigen. Wie wir miteinander und übereinander reden, ist ganz entscheidend dafür, ob diese Heilung gelingt.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich möchte ein Beispiel aus den letzten Tagen nennen. Mit Wolfgang Kohlhaase ist ein großer Drehbuchautor unseres Landes verstorben. Ist uns eigentlich immer bewusst, dass viele Künstler aus dem Osten unseres Landes – ganz unabhängig von dem politischen System, in dem sie gelebt haben – unser kulturelles Erbe bereichert haben und mit Wolfgang Kohlhaase jemand verstorben ist, der den gesamtdeutschen Film bereichert hat? Ich finde, das ist auch ein wichtiges Thema: Was ist unser gemeinsames kulturelles Gedächtnis? Ich denke hier auch etwa an Günter de Bruyn, einen berühmten Schriftsteller aus meiner Heimat Brandenburg. Er hat schon zu DDR-Zeiten betont, er ist kein DDR-Schriftsteller, er ist ein deutscher Autor, der in der DDR lebt. Ich finde, nach diesem Motto sollten wir uns mehr mit unserem gemeinsamen kulturellen Gedächtnis beschäftigen.
Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Schließlich muss uns mit Blick auf die aktuelle Situation und die Zahlen der aktuellen Erhebungen, die in diesem Bericht referiert werden, natürlich Sorge machen, wie gering das Vertrauen in Institutionen ist und dass die Zustimmung zu Demokratie und Marktwirtschaft abnimmt. Wenngleich das ein gesamtdeutsches Problem ist, das in Ostdeutschland noch stärker zum Tragen kommt, aber uns überall beschäftigen muss. Auch dafür ist es wichtig, wie wir miteinander und übereinander reden.
Wenn wir die Streitkultur in unserer Demokratie stärken wollen, dann sollten wir uns vielleicht öfter fragen: Packen wir zu oft Menschen in Schubladen und beurteilen die Frage, was jemand politisch vorbringt, danach, ob er oder sie aus einer bestimmten Region unseres Landes kommt?
Muss er oder sie so denken, weil er oder sie aus dem Osten kommt, oder streiten wir leidenschaftlich um die Argumente in der Sache? Auch das könnte zu mehr Begeisterung für Demokratie beitragen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben auch noch viel an diesem gemeinsamen kulturellen und historischen Gedächtnis aufzuarbeiten. Deshalb will ich hier einmal kurz sagen: Es ist auch wichtig, dass wir die Forschungsverbünde zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die „Landschaften der Verfolgung“, an unseren Universitäten weiterführen –
Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Kollegin.
– und das geplante Zukunftszentrum gut ausgestalten. Damit wir mit Demut und Selbstbewusstsein gleichermaßen sagen können: Wir gemeinsam sind Deutschland.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als Nächstes folgt für Die Linke Dr. Dietmar Bartsch.
Beifall bei der LINKEN)