Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine interessante Abweichung von der bisherigen Übung, nicht nur den Bericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit einmal im Jahr zu diskutieren, sondern heute auch einen Bericht des Beauftragten der Bundesregierung für Ostdeutschland, und dies mit einem anderen Blick, wie Sie, Herr Schneider, sagen, zu versehen. Entscheidend wird sein, dass wir auch in Zukunft regelmäßig Gelegenheit haben, uns mit den besonderen Herausforderungen des Ostens unseres Landes zu beschäftigen. Das darf nicht zur pflichtgemäßen Routine werden, sondern muss ein wichtiger Gegenstand unserer Beratungen hier im Deutschen Bundestag bleiben. Jenseits der berechtigten wirtschaftlichen Anliegen der Bevölkerung in diesem Teil unseres Landes müssen wir vor allem über die deutlich abnehmende Zustimmung zu Demokratie und Marktwirtschaft sprechen. Diese Entwicklung ist für ganz Deutschland besorgniserregend und für den Osten ganz besonders. Ich möchte aus meiner Sicht drei Vorschläge unterbreiten, wie wir dem begegnen können. Zum einen: Wir dürfen nicht nur reden. Wir müssen zuhören. Das haben Sie mit Ihrem Bericht und auch den Autoren, die Sie dort haben zu Wort kommen lassen, getan, Herr Staatsminister. Das ist eine gute Idee. Aber wir werden auch für eine längere Zeit zu akzeptieren haben, dass die Menschen in Ostdeutschland andere Lebenserfahrungen mitbringen, andere Biografien mitbringen und dass sie sich seit über 30 Jahren in einem geradezu permanenten Transformations- und Anpassungsprozess befinden. Das haben wir im Westen so nie erlebt. Dazu gehört, dass wir dafür werben, dass Diskussionen und auch der parlamentarische Streit hier im Haus und anderswo zur Demokratie konstitutiv dazugehören. Streit ist nichts Überflüssiges. Streit in der Demokratie ist nichts Unanständiges, sondern Streit in der Sache gehört dazu. Aber: Nach dem Streit muss es Entscheidungen geben. Und diese Entscheidungen müssen plausibel und nachvollziehbar sein. Erlauben Sie mir, dass ich an dieser Stelle sage: Mit dem Streit innerhalb der Bundesregierung während des äußerst kritischen Sommers 2022 über die Lösung der Energieprobleme, der Einkommensprobleme, der wirtschaftlichen Probleme unseres Landes, mit diesem langanhaltenden und bis heute nicht endgültig geklärten Streit haben Sie der Demokratie und der marktwirtschaftlichen Ordnung – gerade im Osten unseres Landes – keinen Dienst erwiesen, meine Damen und Herren. Das hätten Sie anders und besser machen müssen. Ludwig Erhard hat in seinem wichtigen und einzigen Buch, das er geschrieben hat, „Wohlstand für alle“, das gleichlautende Versprechen abgegeben, das die soziale Marktwirtschaft, wie ich finde, im Westen unseres Landes in geradezu beeindruckender Weise für fast alle Menschen erreicht hat. Aber wir haben es nicht im Osten erreicht. Deswegen möchte ich Ihnen den Vorschlag machen, dass wir in den nächsten Wochen einmal darüber sprechen, wie wir das große Defizit an Vermögen, an Wohlstand durch Vermögen im Osten ausgleichen können. Mit der bisherigen Methodik wird es zu lange dauern, wenn wir es denn überhaupt jemals erreichen. Wir haben im alten Westen der Bundesrepublik Deutschland erprobte Modelle für die Vermögensbildung gehabt. Und die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, meine Damen und Herren, ist das letzte große, nicht eingelöste Versprechen der christlichen Soziallehre, der evangelischen Sozialethik und damit auch der sozialen Marktwirtschaft. Wir werden da etwas nachholen müssen, gerade für den Osten. Erlauben Sie mir, dass ich abschließend sage: Die Qualität eines Landes, die Streitkultur und das Miteinander in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft entscheiden sich jenseits von Angebot und Nachfrage. Die Qualität von Kultur und Sport sagt etwas Fundamentales aus über unser Land, über unsere Gesellschaft und gerade über Ostdeutschland. Deswegen will ich mich ausdrücklich dazu bekennen, dass wir den Sport und die Kultur im Osten besonders fördern. Im Sport ist es ein großartiges Ergebnis, dass in der Fußball-Bundesliga endlich zwei Vereine aus dem Osten ganz oben in der Spitze mitspielen. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis, meine Damen und Herren! In Kunst und Kultur sind es nicht nur das Gewandhaus in Leipzig, das Kindertheater in Dresden, es sind auch Kulturstätten wie das „Theater am Rand“ in dem kleinen Ort Zollbrücke, ganz in der Nähe der polnischen Grenze, die zum Gelingen der deutschen Einheit durch Kultur beitragen. Deswegen lassen Sie mich am Schluss zitieren, was unser früherer Bundespräsident, der einzige, der bisher aus dem Osten kam, gesagt hat, als er seinen Blick auf den Osten und auf unser ganzes Land gerichtet hat: Meine Damen und Herren, das ist ein wahres Wort unseres früheren Bundespräsidenten zur Deutschen Einheit.