Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zuerst möchte ich einmal rügen, dass die Außenministerin bei der ersten außenpolitischen Debatte nicht da ist. Wir haben keine Entschuldigung gehört. – Wo ist die Außenministerin? – Dann muss man sich offiziell entschuldigen. Meine Damen und Herren, kommen wir zum Thema: Ja, es ist ungemütlich, was da an der Grenze zwischen der Ukraine und Russland passiert: weniger, weil man einen Anmarsch der Russen befürchten muss, als vielmehr, weil solche Situationen außer Kontrolle geraten können. Es ist deshalb gut und richtig, wenn die Bundesregierung mit unseren Verbündeten ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzt, um die Lage zu entspannen. Weniger gut und richtig ist es, die Schuld an dieser Entwicklung immer nur bei einer Seite zu suchen. Außenpolitik, meine Damen und Herren, und Diplomatie sollten von den Realitäten ausgehen. Und Realität ist nun einmal, dass Russland die Ordnung an seinen Grenzen als nicht befriedigend empfindet. Ich will hier nicht den alten Streit wiederbeleben, ob es im Rahmen der Wiedervereinigungsverhandlungen eine mündliche Zusage gab, die NATO nicht über die ehemalige DDR hinaus zu erweitern, wie es Herr Teltschik sagt – so viel an die Kollegen der CDU. Das ist Geschichte. Aber Gegenwart ist, dass Russland immer eine rote Linie dort gezogen hat, wo es um alten russischen Siedlungsraum geht. Die Ukraine und Weißrussland sind eben nicht mit Polen und Ungarn zu vergleichen und eben auch nicht mit den im Rahmen der Hitler-Stalin-Paktes annektierten baltischen Staaten. Wir haben es insoweit eben noch nicht mit einer allseits akzeptierten Friedensordnung zu tun – trotz des Vertrages von 1994. Ja, meine Damen und Herren, ich kenne das Gegenargument des Westens, es gäbe keine Einflusssphären mehr und auch diese Länder seien frei, ihre Bündnisse zu wählen. Dieses Argument mag völkerrechtlich richtig sein. Politisch trägt es nicht, meine Damen und Herren. Denn auch die Amerikaner haben 1961 in der Kuba-Krise völlig zu Recht darauf bestanden, dass Mittelstreckenraketen in ihrem Hinterhof für den Weltfrieden nicht inakzeptabel seien. Auch Kubas Souveränität musste damals hinter der Einflusssphäre einer Großmacht zurückstehen, liebe Freunde; und das sollten sich vor allem die Kollegen der CDU hinter die Ohren schreiben. Übrigens: Das ist genau wie auf der anderen Seite Finnland, dessen Neutralität auch nicht eine ganz freiwillige war und ist. Es gibt nun einmal historisch-politische Gegebenheiten, die die Handlungsfreiheit eines Staates auch ohne rechtliche Verpflichtung einschränken. Deshalb ist es nicht klug, auf etwas zu bestehen, was von Russland als eine nicht hinzunehmende Provokation betrachtet wird: die immer stärkere Verflechtung der Ukraine, aber auch Georgiens, mit westlichen Sicherheitsstrukturen. Auch wenn es den regelbasierten Multilateralisten schwerfällt: Der Sicherheit und Unabhängigkeit der Ukraine ist mit einer auch von Russland akzeptierten Neutralität besser gedient als mit Waffenlieferungen oder einer NATO-Mitgliedschaft, meine Damen und Herren! Solange Russland die Phantomschmerzen eines zerbrochenen Reiches mit sich herumschleppt, sollte der Westen dies bei seinen Reaktionen berücksichtigen und jeder weiteren Ausdehnung seiner Ordnung gegen die russische Grenze entsagen. Denn nicht, meine Damen und Herren, zuvörderst das Völkerrecht, sondern vor allem die politische Klugheit sichert das friedliche Zusammenleben von Völkern und Staaten. Meine Damen und Herren, gerade wir Deutschen hätten die Aufgabe, dies auch der Ukraine deutlich zu machen. Ich bedanke mich.