Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Organisierter Steuerbetrug in Milliardenhöhe ist ein Verbrechen an unserer Gesellschaft, ein Verbrechen an unserem Staat. Dem kann nur mit voller Transparenz und lückenloser Aufklärung begegnet werden. Da geht es um sachorientierte, zähe und mühevolle Arbeit. Und selbstverständlich darf es dabei keine Schonung geben. Das haben die Bundestagsuntersuchungsausschüsse zu Cum-ex und zu Wirecard gezeigt. Dazu gehört aber auch, dass im Rahmen der schärfsten Schwerter, die wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben, weder mit Vorverurteilungen noch mit vorweggenommen Freisprüchen gearbeitet wird. Ich frage mich, was genau der aktuelle Anlass der Debatte heute ist. Eine parlamentarische Buchbesprechung? Als Freund der deutschen Gegenwartsliteratur hätte ich da noch viele Ideen. Ich empfehle zum Beispiel ganz besonders „Identitti“ von Mithu Sanyal. Aber ich fürchte, für parlamentarische Buchbesprechungen sind wir nicht gewählt. Wenn wirklich neue Informationen auftauchen, dann gehören die selbstverständlich aufgeklärt und aufgearbeitet. Das allseits als gut recherchiert beschriebene und vielgelobte Buch „Die Akte Scholz“ – ich habe es noch nicht komplett lesen können – bringt nach meinem Kenntnisstand jedoch keine wirklich neuen Erkenntnisse. Das macht es nicht weniger interessant; denn es stellt Zusammenhänge dar und hilft beim Verständnis. Ich möchte hier unterstreichen, wie wichtig die Arbeit von investigativen Journalistinnen und Journalisten wie Oliver Schröm und Oliver Hollenstein ist. Wie viele Finanzskandale wären ohne Journalistinnen und Journalisten in den letzten Jahren deutlich unter der Wahrnehmungsschwelle geblieben oder wären irgendwann still und heimlich unter den Teppich gekehrt worden? Panama Papers, Wirecard oder P&R: Die Liste ist leider sehr lang. Die Aufdeckung vieler der Skandale ist letztlich übrigens nur ins Rollen gekommen, weil es Whistleblower/-innen mit Gewissen gab, die ein großes Risiko eingegangen sind. Warum erwähne ich das? Die Große Koalition hat die Einführung eines effektiven Whistleblower-Schutzes in Deutschland verhindert. Und die Ampel? Sie hat ein Hinweisgeberschutzgesetz – ordentlich ins Deutsche übersetzt – auf den Weg gebracht, das bald den parlamentarischen Prozess durchlaufen haben wird. Cum-ex wurde umfassend in einem Untersuchungsausschuss im Bundestag behandelt – auf Initiative von Bündnis 90/Die Grünen. Wir wollten und wollen volle Transparenz und Aufklärung, aber im Rahmen von parlamentarischen Prozessen und nicht in Schaufensterdebatten, eben weil es um die Aufklärung des größten deutschen Steuerraubs geht. Wir wollten herausfinden, wo staatliche Strukturen versagt haben, um sie für die Zukunft zu verbessern. Ich will insbesondere an die großen Verdienste von Gerhard Schick erinnern, der das Thema mit der Bürgerbewegung Finanzwende mit Mitteln der Zivilgesellschaft weiterhin intensiv bearbeitet. Leider wurden damals die Untersuchungsausschussunterlagen einfach abgeheftet. Dass es zu wirklichen Reformen bei der Aufsicht und den staatlichen Strukturen kam, dafür hat es dann noch den Wirecard-Skandal gebraucht. Laut Schätzungen des Steuerexperten Christoph Spengel von der Uni Mannheim ist uns allen seit der Jahrtausendwende durch Cum-ex-Geschäfte ein Schaden von mindestens 10 Milliarden Euro entstanden. Leider ist das die absolute Untergrenze der Schadenssumme. Davon konnte bisher nur ein Bruchteil von etwa 1,4 Milliarden Euro gesichert werden. Das Kapitel Cum-ex ist auch juristisch keineswegs abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Köln und das Landgericht Bonn werden diese Steuerhinterziehungen noch Jahre beschäftigen. Aktuell sind erst einige wenige der Betrüger verurteilt worden. Die Ampel wird weiter an Maßnahmen gegen missbräuchliche Steuergestaltungen arbeiten und auch den Daten- und Informationsaustausch zwischen Finanzaufsicht und Steuerbehörden bei Verdachtsfällen ermöglichen. Dabei geht es nicht nur um den Reputationsschaden für unseren Rechtsstaat, für unser Land, sondern auch um Steuereinnahmen, um Steuersubstrat, das wir zur Bekämpfung der multiplen Krisen dringend benötigen. Herzlichen Dank.