Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir leben in herausfordernden Zeiten für demokratische Institutionen. Die Stärkung der Glaubwürdigkeit in diese und ihre zentralen Repräsentanten ist eine der wichtigsten Fragen. Dass der Cum-ex- und Cum-cum-Skandal insgesamt weiter aufgearbeitet werden muss, ist selbstverständlich. Es geht aber um spezielle Fragen im Warburg-Scholz-Skandal, und diese dürfen wir nicht einfach wegdiskutieren. Die Hamburger Finanzbehörde hat im Jahr 2016 vor Ablauf der Verjährungsfrist nicht die Möglichkeit genutzt, zu Unrecht erstattete Kapitalertragsteuer in Höhe von 47 Millionen Euro von der Warburg Bank zurückzufordern. Im Jahr 2017 wurden weitere 43 Millionen Euro erst nach zweimaliger Weisung durch das Bundesfinanzministerium vonseiten der Hamburger Verwaltung zurückgefordert. Die Übernahme von politischer Verantwortung für diesen Komplex ist bis heute ungeklärt. Diese fordern wir ein. Der heutige Bundeskanzler hat sich im Zeitraum von September 2016 bis November 2017 insgesamt dreimal mit dem Chef der Hamburger Warburg Bank getroffen und ihm sogar telefonisch geraten, eine Stellungnahme aus Sicht der Privatbank an den damaligen Finanzsenator Tschentscher zu schicken. Die Öffentlichkeit hat von diesen Treffen aufgrund der Auswertung sichergestellter Tagebücher des beschuldigten Bankmanagers erfahren. Dass der heutige Bundeskanzler selbst die Anzahl der Treffen, nämlich drei, nicht von sich aus, sondern nur auf Vorhalt und schrittweise einräumte, ist wenig transparent und enttäuschend. Wer ein Amt an der Spitze einer Regierung hat, der muss sich die Frage gefallen lassen und sie beantworten, weswegen er mehrmals den Chef einer Bank trifft, gegen den bereits zu diesem Zeitpunkt wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wird und weshalb eine Rückforderung der Finanzbehörde im Raum steht. Politisch klug war das nicht. Der Bundeskanzler hat ausgeführt, dass er keine konkreten Erinnerungen an diese Treffen habe. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Der Punkt ist aber auch, dass er gesagt hat, er habe auf jeden Fall politisch keinen Einfluss genommen. Die Frage ist also: Er erinnert sich nicht an die Treffen, aber daran, dass keine Einflussnahme erfolgt ist. Beides passt nicht zusammen. Hier muss Aufklärung erfolgen. Wir haben ein staatspolitisches Interesse daran, dass unser Land in Krisenzeiten durch eine sachlich richtige und moralisch gefestigte politische Führung regiert wird. Ein zumindest in groben Zügen vorhandenes Erinnerungsvermögen an Termine und Sachverhalte aus der jüngeren Vergangenheit ist eine Eigenschaft, die man von einem Bundeskanzler verlangen muss. Es darf nicht das Bild bleiben, der Bundeskanzler habe an nicht unerhebliche Sachverhalte keine Erinnerung. Im Interesse seiner eigenen Glaubwürdigkeit sollte der Bundeskanzler diesem Eindruck nachdrücklich entgegenwirken. Die Bitte geht also heute von diesem Haus an den Bundeskanzler: Geben Sie der Transparenz und der Aufklärung im Sinne der Glaubwürdigkeit den Vorzug gegenüber Erinnerungslücken und Vergessen! Dass diese Aufklärung nottut und dass die Einforderung von Transparenz zentral ist, muss auch im Interesse der regierenden Koalition sein. Schließlich heißt es auf Seite 9 des Koalitionsvertrags – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –: Dieser Anspruch an Transparenz muss in der Sache Warburg und im Komplex „Nicht zurückgeforderte Steuerschuld“ eindeutig eingelöst werden. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit unserer Demokratie insgesamt. Die Akte Cum-ex darf nicht geschlossen werden, solange nicht auch dieser Warburg-Komplex aufgeklärt ist. Da bitte ich um die Mitwirkung aller, die daran beteiligt sind. Herzlichen Dank.