Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe mich ja gefragt, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was hat Sie geritten, am Freitagnachmittag diese Aktuelle Stunde zu beantragen? Ich habe eine Antwort darauf: Es scheint Masochismus zu sein. Denn „ein Jahr nach der Bundestagwahl“ heißt: ein Jahr CDU/CSU in der Opposition. Für dieses Land ist das ein Grund, zu feiern. Im tiefen Innern glauben Sie doch, es sei gottgewollt, dass die Schwarzen regieren – ist es aber nicht. Der Kern Ihres Konservatismus lautet doch: Inhalte egal, Hauptsache, wir stellen den Kanzler. – Das hat unter Helmut Kohl geklappt; das hat 16 Jahre unter Angela Merkel geklappt. Aber was ist jetzt? Sie haben keinen Kanzler. Sie haben Friedrich Merz. Führung. Das haben wir ja erlebt, als Sie sich beim Mindestlohn enthalten haben. Aber ich will auch in aller Ernsthaftigkeit sagen: Wir als Koalitionsfraktionen sind mit Ihnen als Opposition nicht unzufrieden. – Nein, das ist jetzt keine lustige Bemerkung. – Ich finde, angesichts der Herausforderungen durch Putins Angriffskrieg haben Sie sich in entscheidenden Punkten richtig verhalten. Sie haben den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Lieferung schwerer Waffen ohne jede Änderung mitgetragen. Sie haben mit dafür gesorgt, dass das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen trotz Schuldenbremse ins Grundgesetz gekommen ist. Sie haben die 96 Milliarden Euro für drei Entlastungspakete unter Absingen schmutziger Lieder am Ende passieren lassen. Und was sagen Sie zum 200-Milliarden-Abwehrschirm? Sie wollen ihn auch unterstützen, und Friedrich Merz raunt davon, dass sich die Verabschiedung verzögern könnte. Das wäre in der Tat schlecht. Wir könnten uns mit Ihnen noch darauf verständigen, wie wir diesen Abwehrschirm nennen. Ich schlage vor: Peter-Altmaier-Gedächtnisschirm. Denn er war es, der Deutschland in den letzten Jahren in diese fürchterliche Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen gebracht hat. Gerade in diesen schweren Zeiten will ich mit Ernsthaftigkeit sagen – nein, das ist wirklich ernst gemeint –: Das ist keine Selbstverständlichkeit, was Sie da gemacht haben. Überall in den Staaten des demokratischen Kapitalismus erleben wir tiefe Spaltung, unüberbrückbare Polarisierung. In Italien, in Spanien, in Schweden paktieren konservative Parteien, teilweise mit Ihnen in der EVP versammelt, mit rechten Populisten, ja sogar mit Faschisten. Und schauen wir uns auf dem Kontinent um, dann stellen wir fest: Deutschland ist nicht nur wirtschaftlich stark; wir sind inzwischen auch ein Bollwerk demokratischer Stabilität, eben weil es dieses Paktieren mit den Rechten hier nicht gibt. Ich finde, wir sollten uns das bewahren. Das sollten wir auch nicht nach Aufforderung durch Bild TV gefährden. Ich will Ihnen nur ein Beispiel nennen. Man kann darüber schmunzeln, wenn Friedrich Merz twittert, die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit sei eine Zensurkultur, eine „Cancel Culture“, wie in den USA. Aber hier verrutschen nicht nur die Maßstäbe. Die größte Bedrohung für die Meinungsfreiheit sind autoritäre Regimes, die Medien kontrollieren, die das Internet abschalten oder in eine von der Gedankenpolizei bewachte Zone verwandeln. Die größte Gefährdung der Meinungsfreiheit finden wir in Nordkorea, in China, in Russland, in Iran und leider zunehmend auch bei Ihrem ehemaligen Parteifreund Viktor Orban in Ungarn. Solche Tweets erfüllen neben der Verzerrung der Wirklichkeit ein Weiteres: Sie bedienen die Erzählung von rechts außen, von der AfD bis zur „Bild“. Und ja, Friedrich Merz hat sich für das Wort „Sozialtourismus“ entschuldigt. Er hat es mit Bedauern zurückgenommen, denn es sei ein Missverständnis. Ich will nur darauf hinweisen: Er hat damit diesen Begriff gesetzt. Und, mit Verlaub, liebe Frau Kollegin Lindholz, Sie sollten bei Reden zu Migrationsfragen aufpassen, dass Sie nicht zufällig die Manuskripte von Beatrix von Storch erwischen. Der Begriff „Sozialtourismus“ ist eine Steilvorlage für jene rechten Montagsdemonstranten, die meinen, nicht Putins Krieg sei für die Inflation verantwortlich, sondern Sozialleistungen für Menschen, die vor diesem Krieg geflohen sind. Mein Wunsch nach einem Jahr Bundestagswahl ist: Liebe CDU, kritisieren Sie uns knüppelhart – dann müssen wir das nicht selber machen –, aber bedienen Sie nicht die Narrative rechter Antidemokraten, auch nicht, wenn Sie dafür von Springer eine Schlagzeile bekommen. Dann erst recht nicht!