Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, ganz ehrlich: Ihre Debattenbeiträge, wenn ich sie so vergleiche mit denen der letzten Jahre, haben mir bis vorhin in dieser Wahlperiode eigentlich besser gefallen als in der letzten. Ich nehme an, das hängt mit Ihrer neuen Rolle auf der Oppositionsbank zusammen. Möge diese neue Arbeitsteilung – Sie halten gefällige Reden, wir ratifizieren endlich CETA, bauen LNG-Terminals auf und erneuerbare Energien aus – noch lange Zeit erhalten bleiben. Die Bürgerinnen und Bürger werden das zu schätzen wissen. Mit dem Freihandel verhält es sich ähnlich wie mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Was im Koalitionsvertrag vereinbart ist, wird durch Putins Krieg noch wichtiger und noch dringlicher. Die Demokratien der Welt werden ihre Allianz stärken und ihre Abhängigkeiten überwinden: im Energiesektor, im Rohstoffsektor, im Halbleitersektor. Wir werden mehr Handelsabkommen schließen, untereinander und mit dem Rest der Welt. Das ist das Gebot der Stunde. Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien, Handelspartnerschaften sind Freiheitspartnerschaften, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die baldige CETA-Ratifizierung ist ein starkes Signal für die deutsche Wirtschaft. Die Zölle sind schon weg, die Potenziale aber bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Investoren auf beiden Seiten des Atlantiks stehen seit Jahren in den Startlöchern und warten auf Rechts- und Planungssicherheit, übrigens nicht nur Konzerne, sondern auch der deutsche Mittelstand. Seit der vorläufigen Anwendung von CETA hat sich der Marktzugang positiv entwickelt. Ohne Zölle und Doppelzertifizierungen stieg das deutsch-kanadische Handelsvolumen allein im letzten Jahr um 9 Prozent. Ich sage: Da geht noch mehr. Ich wünsche mir, dass wir in weniger als zehn Jahren mehr aus Kanada importieren als aus Russland. Da müssen wir hin. Sie wissen: Was die CETA-Ratifizierung anbetrifft, hatten die Koalitionspartner unterschiedliche Ausgangspositionen. Für uns Liberale hätte es keiner zusätzlichen Klarstellung bedurft. Für die Grünen war die Zustimmung zur Ratifizierung ein weiter Weg. Wir Liberale sehen die Chancen von umfassenden Handelsabkommen. Wir sind überzeugt, dass sie bessere Standards bringen. CETA ist ein Beleg dafür: Kanada hat zwei weitere ILO-Übereinkommen angenommen. Andere sehen das Risiko, dass über die missbräuchliche Anwendung von Investitionsschutzstandards Standards geschliffen werden oder Staaten in ihrer Klimapolitik eingeschränkt werden können. Wir teilen diese Bedenken nicht, und doch nehmen wir sie sehr ernst. Es ist uns wichtig, dass am Ende des Prozesses ein breiter Konsens über die Vertiefung der Partnerschaft mit Kanada steht, ein breiter politischer und gesellschaftlicher Konsens, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist uns wichtig. Und wenn es so ist, dass für diesen breiten Konsens eine Interpretationserklärung in Form einer Klarstellung hilft, dann ist es auch gut, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen, die es braucht. Mir ist das wichtig, und ich sage Ihnen auch, warum. Wir dürfen und wollen nicht bei Kanada stehen bleiben. Vielmehr soll dieser Prozess ermutigen, Sprungbrett sein für weitere Freihandelsabkommen, zum Beispiel mit Chile – dort liegen wichtige Rohstoffe für Halbleiter und Batterien für Elektroautos; ohne Lithium keine Batterien und weniger Chips – und mit Mexiko – Mercosur ist schon angesprochen worden; dort wollen wir voranschreiten –, mit Australien, mit Indien, mit dem Chancenkontinent Afrika. Zeitenwende soll für Europa heißen: weniger Abhängigkeiten durch mehr Resilienz, durch mehr Diversität im Handel. Waren Handelsabkommen schon immer ein Gebot der ökonomischen Vernunft, so sind sie heute ein Gebot der neuen geopolitischen Realität. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt und die größte in Europa. Deutschland macht allein mehr als 25 Prozent des EU-Außenhandels aus. Unsere Partner erwarten, dass Deutschland in Europa Verantwortung übernimmt und entschlossen voranschreitet. Was sie nicht mehr wollen, sind deutsche Alleingänge à la Nord Stream 2. Ich rate dringend davon ab, in der Handelspolitik die Fehler der Energiepolitik zu wiederholen. Verantwortung übernehmen ist etwas anderes, als Alleingänge durchzudrücken. Nicht alles, lieber Maik Außendorf, was mit Neuseeland geht, wird auch mit Indien sofort gelingen. Mit gesundem Selbstbewusstsein sagen wir: Wir sind die bessere Alternative zu China im Globalen Süden, und noch besser mit Handelsabkommen als ohne. Das sollte uns auch leiten, wenn wir nicht alles, was wünschenswert ist, gleich im ersten Schritt erreichen. In diesem Herbst ratifizieren wir CETA. Das ist ein gutes Zeichen in schlechten Zeiten.