Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über die Bekämpfung von Straftaten nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der vergangenen Woche zur deutschen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Lassen Sie mich eine Bemerkung vorweg machen. Wir reden über eine bestimmte Form von Straftaten, nämlich den sexuellen Missbrauch an Kindern. Diese Form von Straftaten gehört zu dem Abscheulichsten und Widerlichsten, was man sich überhaupt vorstellen kann. Wenn hier versucht wird, denjenigen, die sich gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung einsetzen, zu unterstellen, sie würden an der Seite von Kinderschändern stehen oder sie würden das, was da passiert, sogar gutheißen, dann bewegt sich das im Bereich von ehrabschneidenden Diffamierungen. Das will ich ganz deutlich sagen. Wir alle gemeinsam haben das Interesse und haben das Ziel, sexuellen Missbrauch an Kindern zu verhindern und zu bekämpfen. Das glaube ich Ihnen, und das sollten Sie uns auch glauben. Den Opfern ist überhaupt nicht geholfen, wenn wir uns da auseinanderdividieren lassen. Ich bin überzeugt davon, auch in vollem Respekt vor der praktischen Expertise unserer Sicherheitsbehörden, dass wir eine gute Lösung in dieser Diskussion finden werden. In der vergangenen Woche hat der Europäische Gerichtshof eine ganz wichtige Entscheidung veröffentlicht und damit einen Meilenstein für die Bürgerrechte markiert: Eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ist mit europäischen Grundrechten unvereinbar. Das zeigt noch einmal: Eine Massenüberwachung, bei der alle Bürgerinnen und Bürger mit Blick auf ihre Verkehrsdaten, mit Blick auf ihre Standortdaten überwacht werden, passt nicht zu unserer Werteordnung. Und weil das so ist, müssen die Bundesregierung und der Bundestag jetzt das einzig Richtige machen, was aus diesem Urteil folgen kann, und das ist, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung aus deutschen Gesetzen zu streichen, meine Damen und Herren. In dieser Woche hat ein Treffen der Innen- und Justizminister in München stattgefunden. Bei der Reaktion der Innenminister habe ich teilweise gedacht: Ich bin im falschen Film. – Seit 15 Jahren sprechen wir in Deutschland darüber, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung rechtswidrig ist. Seit 15 Jahren wissen wir, bestätigt durch mehrere Gerichtsurteile, dass dieses Instrument von den Behörden eben nicht eingesetzt werden kann. Und wir wissen – anhand der Zahlen, die hier dankenswerterweise gerade von der Kollegin Eichwede vorgetragen worden sind –, dass die Aufklärungsquote gerade beim sexuellen Missbrauch bei Kindern trotzdem relativ hoch ist. Und jetzt kommt Marco Buschmann und macht Ihnen ein Angebot, wie man diese Aufklärungsquote auch noch steigern könnte. Statt sich darauf einzulassen, lehnen Sie das ab. Da habe ich wirklich überhaupt nicht mehr verstanden, was mit den Innenministern in diesem Land eigentlich los ist. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen eines ganz klar sagen: Wer sich einer Diskussion über den Quick-Freeze-Ansatz verweigert, der ist doch in Wahrheit das Sicherheitsrisiko, das er anderen vorwirft zu sein. Deswegen sollten wir schnellstmöglich in eine Diskussion darüber einsteigen, diesen Quick-Freeze-Ansatz auf den Weg zu bringen. Und dann höre ich immer: IP‑Adressen zu speichern, sei ja nicht so schlimm. Natürlich ist eine IP‑Adresse ein sensibles Datum; denn eine IP‑Adresse ermöglicht in der Zusammenschau mit anderen gespeicherten Daten eine sehr genaue Auskunft über das Surfverhalten einer Person im Internet. Und dieses permanente Gefühl des Überwachtseins passt nicht zu einer liberalen Demokratie. Diese Situation passt nicht zu einer freiheitlichen Gesellschaft. Natürlich leben wir in Deutschland in einem freien Land. Natürlich haben wir einen funktionierenden Rechtsstaat. Aber wir müssen doch auch den Systemkonflikt sehen, der gerade auf der Welt existiert: Es geht darum, dass Autokratien und Demokratien gegeneinanderstehen. Demokratien werden diesen Systemkonflikt nur bewältigen, wenn sie auch bei der Verbrechensbekämpfung zu dem stehen, was ihre eigenen Grundwerte sind, und das gilt auch bei der Verteidigung der informationellen Selbstbestimmung und auch bei der Verteidigung der Privatsphäre. Diese Debatte sagt so viel aus. Sie sagt doch so viel aus über das Verständnis unterschiedlicher Fraktionen hier im Haus, wenn es um das Verhältnis von Staat und Bürgern geht. Es gibt Menschen, die wissen, dass bei zusätzlichen Freiheitseinschränkungen – und ja, es braucht Freiheitseinschränkungen, um Straftaten zu bekämpfen und zu ahnden – der Souverän von diesen Freiheitseinschränkungen überzeugt werden muss. Und es gibt andere in diesem Haus, die glauben, dass man den Souverän mit Freiheitseinschränkungen überrumpeln kann, indem man eine Debatte über sexuellen Kindesmissbrauch aufsetzt. Aber eigentlich will man die Vorratsdatenspeicherung einfach generell im deutschen Recht wiederhaben. Man will sie auch für andere Straftaten. Man will sie auch wieder für Straftaten, für die Sie sie schon eingeführt haben. Deswegen ist das auch eine Masche, die Sie hier aufführen, und dieser Masche werden wir nicht folgen. Wir als Ampelkoalition werden eine gute Lösung finden, einen guten Kompromiss zwischen Sicherheit und Freiheit. Wir werden die Aufklärungsquote bei der Bekämpfung von sexuellem Kindesmissbrauch weiter steigern. Das sind wir den Opfern schuldig, und wir sind es auch unserer Werteordnung schuldig, dass wir das in vollem Respekt vor der Freiheit, vor der informationellen Selbstbestimmung und auch vor dem Schutz der Privatsphäre tun. Herzlichen Dank.