Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin Paus! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Endlich hört uns mal jemand zu. – Diese Rückmeldung bekam ich am vergangenen Montag von einer Teilnehmerin des Hearings Heimerziehung. Herr Kollege Edelhäußer war auch dabei. Mit dem Hearing konnte der Familienausschuss jungen Menschen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe aufwachsen oder aufgewachsen sind, die Möglichkeit bieten, sich direkt an die Politik zu wenden. In Workshops hatten sie sich akribisch und ausführlich darauf vorbereitet. Das ist für mich gelebte Jugendpolitik; denn politische Bildung darf nicht Theorie bleiben. Sie braucht unbedingt auch politische Beteiligung und Selbstvertretung. Aufgabe der Politik, unsere Aufgabe ist es, dafür die Räume zu öffnen. Der 16. Kinder- und Jugendbericht stellt diesen direkten Bezug zwischen politischer Bildung und Beteiligung sehr klar und deutlich fest. Politische Bildung vermittelt nicht nur Wissen, sie soll Demokratie praktisch erfahrbar machen. Damit ermöglicht sie, dass sich Jugendliche aktiv und gestaltend an Politik beteiligen. Politische Bildung befähigt Kinder und Jugendliche, sich entsprechend ihrer Interessen politisch zu informieren und sich eine Meinung zu bilden. Sie lädt ein zum Einmischen und Mitmischen, sie schult im kritischen Umgang mit Medien. Das muss regelmäßig geübt und angewendet werden und findet natürlich nicht nur in der Schule statt, sondern immer in der Familie, an außerschulischen Orten und in Jugendorganisationen. Nach der letzten Reform des Kinder- und Jugendhilferechts haben Selbstvertretungsorganisationen nun einen Anspruch darauf, einbezogen und gefördert zu werden. Ich bin davon überzeugt, dass das die Bereitschaft zum Engagement erhöht. Anspruch auf Beteiligung, Förderung und Selbstvertretung sollten übrigens auch die Eltern erhalten und nutzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist es wichtig, hier und heute auf die zu schauen, die normalerweise nicht im Fokus von Jugendverbandsarbeit und politischer Bildung stehen. In der Kinder- und Jugendhilfe ist die sogenannte Careleaver-Bewegung in den letzten Jahren immer stärker geworden. Junge Menschen, die im Heim groß geworden sind, standen lange am Rand der Gesellschaft. Nun haben sie gezeigt, welche Kraft sie entfalten können, wenn sie als Gesprächspartner ernst genommen werden, Raum bekommen und konsequent beteiligt werden. Die Erfahrung der eigenen Kompetenz, der Selbstwirksamkeit, ist das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit und für eine lebendige Demokratie. Da sind alle gefordert, die Verantwortung tragen, ob in Schule, Jugendhilfe oder auf den verschiedenen politischen Ebenen; denn Diskussionen mit jungen Menschen sind oft anstrengend, und das ist auch gut so. Wer sonst sollte ein Recht auf radikale Ansichten, auf Maximalforderungen, auf lautstarken Protest haben? Solange das gewaltfrei und im persönlichen Grundrespekt voreinander geschieht, ist das völlig in Ordnung und sogar notwendig. Für die Politik gilt, dass die eigene Bequemlichkeit und das Beibehalten geordneter Abläufe keine guten Gründe sind, um jungen Menschen Beteiligung zu verwehren. Mit dem Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung schreibt die Bundesregierung ihre Jugendstrategie deutlich in diese Richtung fort. Ziel des Plans ist es, dass überall Räume entstehen, die echte Mitwirkung möglich machen. Meiner Meinung nach sollten wir diese Beteiligungsrechte auch zügig in unserer Verfassung verankern. Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Denn junge Menschen haben das Recht auf Schutz, auf Bildung und Förderung und auf Beteiligung und Mitsprache in allem, was sie betrifft. Ich bitte darum die Kolleginnen und Kollegen von der Union, ihre bisherigen Positionen zu Kinderrechten noch einmal zu überdenken. Demokratie lebt von Beteiligung. Machen wir die Türen auf! Ich danke Ihnen.