Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 26 Minuten am späteren Abend gönnt sich der Deutsche Bundestag, um schon mal darüber zu beraten, ob er sich nächste Woche um diese Zeit ein wenig selbst entleiben möchte. Es bedarf geringer prophetischer Gaben, um vorauszusagen, dass er wollen wird. Der Drang zur Selbstabschaffung, zum sozusagen sukzessiven Suizid des Parlaments, ist schließlich Allgemeingut aller Fraktionen außer der AfD. Worum geht es? Der Vertrag über die Arbeitsweise der EU von 2009 sieht vor, dass die Regierungen der EU‑Staaten sich zusammentun und gemeinsam den Parlamenten ihrer Staaten die Gesetzgebungszuständigkeit für das Strafrecht stückweise entziehen können, um sie auf die EU zu übertragen. Man muss schon tief im Sumpf der EU‑Anbetung versunken sein, um nicht mehr wahrzunehmen, was für ein grotesker Vorgang das im Hinblick auf die demokratische Verfasstheit des Staates recht eigentlich ist. Es ist eine bleibende Schande für den Bundestag, diesem Vertrag damals zugestimmt zu haben. Das Bundesverfassungsgericht hat seinerzeit einiges Richtige dazu angemerkt, allerdings das Vertragswerk am Ende zum Schaden Deutschlands und Europas passieren lassen. Es hat die besondere Bedeutung des Strafrechts hervorgehoben und betont, dass die demokratische Selbstbestimmung in besonders drastischer Weise beschädigt wird, wenn einer Rechtsgemeinschaft die Möglichkeit genommen wird, über die Strafbarkeit von Verhaltensweisen nach eigenen Wertvorstellungen selbst zu entscheiden. Deshalb, so das Bundesverfassungsgericht, könne der Selbstermächtigungsmechanismus des EU‑Vertrags für Deutschland nur wirksam werden, wenn der Bundestag dem jeweils durch ein förmliches Gesetz zustimme. Um ebendies zu tun, sind wir nun hier zusammengekommen. Die Regierung fordert den Deutschen Bundestag auf, er möge zugunsten der EU einen weiteren Bereich seiner Gesetzgebungskompetenz im Strafrecht aufgeben. In der Sache handelt es sich um die strafrechtliche Durchsetzung der Außenpolitik der EU. Die EU definiert einen außenpolitischen Feind, ordnet Sanktionen gegen diesen Feind an und verlangt dann von ihren Mitgliedstaaten, dass sie diese Sanktionen in ihrem jeweiligen Bereich durchsetzen. Das tut Deutschland auch. Gerade im Mai erst hat der Bundestag ein Sanktionsdurchsetzungsgesetz beschlossen und zahlreiche behördliche Befugnisse erweitert. Die EU-Kommission aber möchte selbst darüber entscheiden, welche Verhaltensweisen in Deutschland verfolgt und bestraft werden. Diese Forderung wird aktuell mit dem russischen Angriff auf die Ukraine begründet. Eine Aufgabe der Gesetzgebungskompetenz durch den Bundestag wäre aber darauf nicht beschränkt, sondern würde für alle zukünftigen außenpolitischen Maßnahmen der EU gelten, die heute noch in keiner Weise absehbar sind. Dass wir zu dieser Selbstaufgabe des Bundestages nicht die Hand reichen, versteht sich wohl von selbst. Vielen Dank.