Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben dieses Hauses, Mandate für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zu beschließen. Dass dies überhaupt geschieht, liegt daran, dass die Möglichkeit besteht, dass Soldatinnen und Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen geraten, dass sie in Gefahr geraten. Deswegen sind die Debatten, die wir hier regelmäßig zu Mandaten führen, immer von großer Ernsthaftigkeit geprägt und von dem Wissen – bei uns allen –, dass wir mit unseren Stimmen Soldatinnen und Soldaten in potenziell gefährliche Missionen senden. Wir tun dies in der Überzeugung, dass dies für die Sicherheit unseres Landes und die Sicherheit unserer Verbündeten und Partner notwendig ist. Wir tun dies in dem Wissen um die Verantwortung, die wir – jeder einzelne Abgeordnete des Bundestages – für die Soldatinnen und Soldaten übernehmen. Wohl in keinem der Einsätze ist dies so deutlich geworden wie in Afghanistan. 20 Jahre lang war Deutschland dort engagiert. Weit über 90 000 Soldatinnen und Soldaten sind dort – einige mehrfach, manche sechs- bis achtmal – im Einsatz gewesen. Und wir haben hier im Parlament über 20 Mandate mit Bezug auf Afghanistan beschlossen. Am Ende dieses Engagements mussten wir vor bald einem Jahr eine ehrliche und eine nüchterne Bilanz ziehen. Wir haben in 20 Jahren viel erreicht. Für 20 Jahre war Afghanistan kein Rückzugsort mehr für internationalen Terrorismus, gingen von dort keine Anschläge mehr aus. Für 20 Jahre haben dort Frauen und vor allem Mädchen Rechte genossen, durften Schulen und Universitäten besuchen, durften Berufen nachgehen – so wie Jahrzehnte zuvor nicht, vielleicht sogar nie zuvor in der Geschichte dieses Landes. 20 Jahre lang gab es Wahlen, gab es einen kritischen Journalismus, gab es Rechte für religiöse und ethnische Minderheiten. 20 Jahre lang war Afghanistan ein Land mit großen Herausforderungen und riesigen Problemen; aber es war ein Land mit einer jungen Generation voller Hoffnung und mit Potenzialen. Dafür haben wir zusammen mit unseren Verbündeten und Partnern viel investiert: an Ressourcen, an Geld, an Zeit. Und wir haben schmerzhafte Verluste hinnehmen müssen, vor allen Dingen bei der Bundeswehr mit ihren Gefallenen, mit ihren Umgekommenen, mit den vielen an Leib und Seele Verwundeten. Wir waren erfolgreich, aber es war schmerzhaft. Deswegen ein großer Dank an alle Soldatinnen und Soldaten, an die Diplomatinnen und Diplomaten, unsere Polizisten, viele Spezialisten in den Entwicklungshilfeorganisationen. Ihnen allen gebührt Dank für ihren jahrelangen entbehrungsreichen Einsatz. Doch nach 20 Jahren brachen im Grunde – meine Vorrednerin hat das auch schon zum Ausdruck gebracht – alle Erfolge weg. Afghanistan scheint mit der Machtübernahme der Taliban wieder zurückkatapultiert in eine Vorzeit, zurück in Zeiten der Intoleranz, des Terrors und der Hoffnungslosigkeit. Wir alle haben uns vor fast genau einem Jahr, als die Taliban blitzartig das Land überrannten, die Frage gestellt, was falsch gelaufen ist. Was haben wir verkehrt gemacht? Diese Fragen sind nach wie vor relevant. Denn zum einen wollen wir, dass unsere anderen Engagements in anderen Regionen der Welt – ich denke nur an die Sahelzone – dauerhaft und nachhaltig erfolgreich sind. Wir müssen für die Zukunft lernen. Denn es ist klar, dass wir auch zukünftig engagiert bleiben müssen in der Welt, um unsere Sicherheit zu gewährleisten, um unserer internationalen Verantwortung gerecht zu werden. Zum anderen sind wir es den Menschen, die für unser Land mit und ohne Uniform nach Afghanistan gegangen sind, schuldig, uns kritisch zu hinterfragen, ob wir die richtigen Strategien verfolgt haben. Deswegen haben sich die demokratischen Fraktionen dieses Hohen Hauses zusammengeschlossen, um mit einem gemeinsam formulierten Antrag eine Enquete-Kommission einzusetzen, eine Enquete, die kritisch-analytisch auf unser Engagement in Afghanistan zurückblickt, um Antworten für zukünftige Engagements zu finden. Dass wir, die Fraktionen der FDP, der Grünen, der SPD, der CDU/CSU, uns gemeinsam zusammengefunden haben, ist natürlich kein Zufall; denn wir alle haben in den letzten 20 Jahren Verantwortung übernommen für diese Engagements – in Regierungsverantwortung, teilweise auch in der Opposition. Wir alle tragen deshalb politische Verantwortung für das, was geschehen ist. Wir sind auch im Nachhinein überzeugt, dass das Engagement grundsätzlich richtig war. Aber wir wollen wissen – daran sind wir interessiert –, was wir zukünftig besser machen können. Deswegen braucht es eine echte, tiefgreifende Analyse und eine breit angelegte Untersuchung mit Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Deshalb wird meine Fraktion der Einsetzung dieser Enquete-Kommission zustimmen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.