Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurze Vorbemerkung: Mein Kollege Jan Korte ist erkrankt; daher rede ich. Nun zur Sache. Es ist einerseits erschreckend, dass gegen die Documenta Antisemitismusvorwürfe bestehen. Andererseits ist Antisemitismus nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern – wenig verwunderlich – weltweit zu finden. Man wundert sich aber schon: Wie konnte ein eindeutig mit antisemitischer Symbol- und Bildsprache arbeitendes, 20 Jahre altes Werk in Kassel aufgehängt werden? Kannte das niemand? Und wieso, bitte, schaut da niemand vorher drauf? Und das, obwohl bereits seit Monaten Antisemitismusvorwürfe im Raum standen. Documenta-Beirat, Geschäftsführung, Kommunal-, Landes- und Bundespolitik haben schlicht versagt. Von einer funktionierenden Kuratierung kann keine Rede sein. Selbstverständlich muss alles schnell, es muss aber auch gründlich aufgearbeitet werden, und es müssen Konsequenzen gezogen werden. Klar ist schon jetzt – da kann ich mich meinem Vorredner anschließen –, dass der von Monika Grütters 2018 vollzogene Rückzug mit der Kulturstiftung des Bundes ein schwerer Fehler war. Traurig bleibt aus meiner ganz persönlichen Sicht, was den Gesamtansatz der Documenta anbetrifft, dass die Künstler ihren Ansatz selber entwertet haben. Freilich sind die Entschuldigungen des Künstlerkollektivs Taring Padi und von Ruangrupa angebracht. Dass allerdings Taring Padi nach wie vor keinen Antisemitismus in ihrem Werk erkennen können, zeigt: Sie haben den Kern unserer Debatte nicht verstanden und haben wahrscheinlich auch ein Perspektivproblem. Wenn jedoch, umgekehrt, im „Spiegel“ wiederum Sascha Lobo statt von der Documenta von einer „Antisemita“ spricht, dann, muss ich ehrlich sagen, ist auch das beängstigend. 1 500 Künstlerinnen und Künstler in Haftung zu nehmen, ist unsinnig, und es ist falsch. Vielmehr werden dadurch erst recht Zusammenhänge und Verantwortlichkeiten verwässert. Insofern ist Claudia Roths Fünf-Punkte-Plan für die Documenta sinnvoll. Und ich finde es auch richtig, dass sie 800 000 Euro bereitstellt, um endlich die NS-Verstrickungen der Documenta-Gründungsväter aufzuarbeiten. Dass nun Konservative und AfD ihrerseits versuchen, mit einer Kunstrichtung und dem Thema Postkolonialismus abzurechnen, war ebenso erwartbar, wie es verlogen ist; das ist doppelbödig. Legen Sie die Documenta-Debatte doch nur einmal neben den Fall Melnyk. Da führen antisemitische Bilder zu Kunstbeaufsichtigung und Ausladungen, dort kann jemand als Holocaustrelativierer zum Darling von Politik und Talkshows werden. Ich bin sofort fertig. – Nicht die leiseste Kritik, geschweige denn eine Verurteilung von Melnyks Holocaustrelativierung war je zu hören. Wollen Sie also glaubhaft bleiben in der Documenta-Debatte, dann stellen Sie sich auch Ihren eigenen Widersprüchen!