Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich gehört habe, dass die Union einen Antrag zum Thema Kinderschutz einbringen wird, habe ich mich gefragt: Worüber werden wir reden? Über die verbesserte Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg zwischen Jugendämtern, Polizei, Schulen und anderen Stellen? Oder werden wir über Konzepte zur Stärkung des Selbstbewusstseins für Kinder reden, damit sie offensiv Nein sagen können, sich selber wehren und sich selber Hilfe suchen können? Werden wir über Informations- und Beratungsangebote für besorgte Erzieherinnen, Erzieher, Eltern und andere Verwandte reden? Nein, über all das wollen Sie hier keine Debatte führen. Sie beschreiben auf anderthalb Seiten – ja, zu Recht – viele schreckliche Taten, aber die einzige Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen, ist, zum wiederholten und wiederholten Mal die Vorratsdatenspeicherung zu fordern. Das ist sehr, sehr dünn, Herr Kollege Krings. Also, Sie wollen in Wahrheit eine Debatte über die Vorratsdatenspeicherung. Dann führen wir diese Debatte. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen – viele Kolleginnen und Kollegen haben das bereits getan –, dass die Vorratsdatenspeicherung eine kurze, wechselvolle und letztlich auf ganzer Linie gescheiterte Episode in diesem Rechtsstaat war, und das war gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die Vorratsdatenspeicherung war von Anfang an ein Fremdkörper in unserem Strafermittlungssystem, und zwar deshalb, weil der Regelfall ist, dass wir unter anderem in der Strafprozessordnung festlegen, unter welchen Voraussetzungen der Staat bestimmte Daten erheben, bestimmte Ermittlungsmaßnahmen durchführen darf. Nur die Vorratsdatenspeicherung hat private Dritte dazu verpflichtet, Daten zu sammeln und zu speichern, damit der Staat später im Wege der Strafverfolgung auf sie zugreifen kann. Es ist gut, dass dieser Fremdkörper beseitigt wurde. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, es hilft den Ermittlerinnen und Ermittlern auch nichts, wirklich gar nichts, wenn Sie zum wiederholten Male und zum wiederholten Male und zum wiederholten Male mit Ihrem Kopf gegen eine Stahlbetonwand rennen, in der Hoffnung, doch noch irgendeine Variante dieses Mittels durchzubekommen. Dieses Auf und Ab der letzten Jahre, das Hü und Hott, erst ja und dann vielleicht wieder doch nicht, das nützt keinem Praktiker, keiner Praktikerin. Es hat der Strafverfolgung jedenfalls nicht gedient, nein. Kommen Sie endlich von diesem überholten und geschichtlichen Instrument ab! Gestalten Sie doch zusammen mit uns, mit der Fortschrittskoalition und mit Minister Buschmann! Wir haben ein Instrument, das wirksam und rechtssicher ist, das kein Grundrecht einschränkt – so sollte es in einem Rechtsstaat sein –, nämlich die anlassbezogene Speicherung von vorhandenen Daten im Wege des Quick Freeze. Das ist ein grundrechtschonendes Mittel, das gleichzeitig den Erfolg der Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Es wäre schön, wenn Sie dazu mal konkrete Vorschläge machen würden, anstatt hier immer vergangenheitsbezogene Debatten zu führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gehört zu einem Rechtsstaat, dass schlimme Verbrechen aufgeklärt werden müssen. Herr Kuhle zum Beispiel hat schon viel Richtiges dazu gesagt: Zahl der Ermittler aufstocken, Zusammenarbeit stärken, V-Personen in die Szene einschleusen, Zeugen schützen und stärken, Opfer beschützen und unterstützen, damit sie aussagen, auch umfangreich aussagen können. Insbesondere Kinder sollten in solchen Verfahren stärker betreut werden. Das alles wären doch wirksame Maßnahmen. Ihr Kollege aus demselben Landesverband in Nordrhein-Westfalen, Herr Krings, war übrigens schon viel, viel weiter mit seinen Konsequenzen aus den Fällen in Lügde und anderswo. Es wäre schön, wenn Sie so etwas in diesen Antrag geschrieben hätten, anstatt nur diese eine stumpfe Debatte führen zu wollen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, dass es keine Strafverfolgung um jeden Preis gibt. Es gehört zum Wesen des Rechtsstaates, dass – und das hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht ausgeführt – Überwachungsmaßnahmen nicht zu einem diffusen Gefühl aller des Überwachtseins, des stetigen kontrollierten Überwachtseins führen dürfen. Aber genau das ist doch die Gefahr bei der von Ihnen vorgeschlagenen anlasslosen massenhaften Speicherung von IP‑Adressen, nämlich dass sich alle, die sich im Internet bewegen, überwacht fühlen. Das ist ja letztlich auch unmittelbare Folge der Maßnahmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend: Das Pferd mit dem etwas sperrigen Namen Vorratsdatenspeicherung ist in diesem Land schon viele, viele Tode gestorben. Anstatt immer wieder zu versuchen, es wiederzubeleben, sollten Sie endlich absteigen und mit uns gemeinsam an fortschrittlichen Konzepten arbeiten. Vielen Dank.