Wenn ich mir die Aussagen einiger Kollegen und Kolleginnen heute vergegenwärtige, dann – ich muss es so deutlich sagen – habe ich manchmal den Eindruck: Der eine oder die andere ist gesellschaftspolitisch vor 100 Jahren stehen geblieben. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Die Abschaffung des § 219a Strafgesetzbuch durch die Ampelkoalition ist ein wichtiger Schritt zu mehr Rechtssicherheit bei Ärztinnen und Ärzten und zu einem verbesserten Zugang von Frauen zu Beratung und Betreuung, ja, zu dem Zugang zu Informationen. Wir setzen heute eine wichtige Vereinbarung unseres Koalitionsvertrages um und folgen damit auch der Forderung einer breiten Mehrheit in der Bevölkerung. Ich sage es ganz offen hier: Das ist gut so. Gut, dass wir das als Ampelkoalition heute voranbringen! Die letzten Jahrzehnte – da müssen wir ehrlich sein – sind von einer deutlichen und nüchternen Wahrheit geprägt: Verbote führen bei einer so wichtigen und persönlichen Entscheidung nicht weiter. Verbote führen nur dazu, dass es betroffenen Frauen schwerer gemacht wird, selbstbestimmt für sich und ihre Familie zu entscheiden. Und damit muss heute Schluss sein. Kolleginnen und Kollegen, unser heutiger Beschluss ist das Ergebnis von Diskussionen, Engagement und, ja, auch Streit. Dabei ist die Diskussion genauso alt wie der Abschnitt im Strafgesetzbuch selbst. Seit der Einführung der entsprechenden Paragrafen in das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches – Bundesjustizminister Buschmann hatte darauf hingewiesen – wird über Sinn und Unsinn gestritten. Es waren schon vor über 100 Jahren SPD-Politikerinnen und -Politiker um den späteren Justizminister Gustav Radbruch, die sich für Selbstbestimmung und einen verantwortungsvollen Umgang mit diesem sensiblen Bereich eingesetzt haben. Sie wussten schon damals, dass restriktive Gesetzgebung eben nicht zu mehr Schutz des ungeborenen Lebens führt, sondern zur Pönalisierung armer und mittelloser Frauen, die sich keine verschwiegenen Privatärzte, schon damals in teuren Sanatorien, leisten konnten. Ich kann nur sagen: Schlagen Sie auch in der Opposition endlich ein neues Kapitel auf! Diese Diskussion kann man nur mit den betroffenen Frauen gemeinsam führen und nicht gegen sie. Es war übrigens schon die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt, die Beratungen über die Neufassung dieses Abschnitts eingeleitet hatte und gemeinsam mit den Frauenrechtsbewegungen schon damals nach Wegen und Lösungen gesucht hat. Es war dann die Wiedervereinigung, die zu einer großen Herausforderung auf diesem Gebiet geführt hat. Ich erinnere nur daran, dass es galt, die in Ostdeutschland geltende Fristenregelung mit der im Westen praktizierten Indikationsregelung zu vereinen. Das war nicht einfach. Aber ich bin dankbar, dass diese Debatte damals wie heute – ja – leidenschaftlich, kontrovers, aber meistens auch immer mit Respekt geführt worden ist. Mir persönlich zollt es Respekt ab, wie würdevoll viele Frauen diese Diskussionen führen konnten, während andere meinten, Entscheidungen über ihre Selbstbestimmung hinweg treffen zu müssen. Diesen Respekt empfinde ich auch für Ärztinnen und Ärzte, die sich in den vergangenen Jahren für einen ungehinderten Zugang von Frauen zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch eingesetzt haben. Mit ihnen teilen wir die Überzeugung, dass betroffene Frauen und ihre Familien das Recht auf professionelle Beratung und Unterstützung durch behandelnde Ärztinnen und Ärzte haben. Und der heutige Tag ist auch ihr Verdienst. Ich bin dankbar, dass sie heute dieser Debatte beiwohnen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte zum Schluss auch Elfriede Hoffmann, Inge Wettig-Danielmeier, Elke Ferner und Eva Högl stellvertretend für viele weitere Genossinnen danken, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten unermüdlich für die Selbstbestimmung der Frauen in diesem Land eingesetzt haben. Auch ihr Einsatz trägt heute zur Streichung des § 219a StGB bei. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.