Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Bundesminister, laut Koalitionsvertrag haben Sie sich vorgenommen, wissenschaftliche Evidenz und Evaluierung von Gesetzen zum Maßstab für Ihre Kriminalpolitik zu machen. Mit dem Gesetzentwurf zur Streichung von § 219a StGB werden Sie diesem selbstgesetzten Anspruch nicht gerecht. Es gibt keine Evaluation. Sie warten noch nicht einmal die ELSA-Studie ab, die zeitgleich im Bundesministerium für Gesundheit erstellt wird und die doch genau in den Blick nimmt, ob es ausreichende Beratung gibt bzw. wo es Defizite gibt. Alldem greifen Sie vor. Das ist nicht an Evidenz orientiert. Einen objektiven Grund für Eile sehe ich auch nicht. Ich habe eher den Eindruck, dass es Ihnen darum geht, hier zusammen ein Erfolgserlebnis zu produzieren, weil Sie an anderen Stellen mit vielen Problemen zu tun haben, was sicherlich auch verständlich ist. Es geht hier mehr um interne Gruppendynamik Ihrer Koalition. Dabei ist klar: Eine ungewollte Schwangerschaft führt dazu, dass eine Frau auf der einen Seite massiv betroffen ist in ihren Grundrechten, in ihrer Selbstbestimmung. Wir haben auf der anderen Seite den Grundrechtskonflikt mit dem Menschenrecht auf Leben, mit dem Lebensrecht des Kindes. Das kann nicht in einem klassischen Kompromiss aufgelöst werden; es geht immer um alles oder nichts. Jeder kann die Situation der Frau nachempfinden, denn wahrscheinlich hat jeder auch in seinem persönlichen Umfeld einmal eine solche Situation erlebt. Aber wir denken eben auch an das Lebensrecht des Kindes, und das ist der maßgebliche Unterschied, den ich zwischen uns sehe. Das ist der maßgebliche Grund, weshalb wir an der geltenden Regelung festhalten wollen. Aus den Reihen der Koalition gab es sowohl hier im Plenum als auch in den Social Media viele Beiträge, in denen das Kind keine Rolle spielt. Ich muss sagen: An dieser Stelle kommen wir nicht zusammen. Wir erleben gerade mit Blick auf die USA, auf Polen, wie dieser Konflikt eskalieren kann. Wir haben ihn ja vor vielen Jahren auch bei uns gehabt. Die geltende Regelung, die wir jetzt in Deutschland haben, ist gut, der sogenannte dritte Weg, der auf Rita Süssmuth zurückgeht und vom Bundesverfassungsgericht dann noch weiterentwickelt worden ist. Diese Regelung besagt, dass im Verfahren dafür gesorgt werden muss, dass die Rechte des Kindes auch gegenüber denen der Frau berücksichtigt werden. Das ist das wirksame Schutzkonzept, das das Bundesverfassungsgericht an dieser Stelle verlangt. Im Mittelpunkt steht die Beratung, ergänzend kommt dazu das Werbeverbot. Denn es geht auch darum – auch das sagt das Bundesverfassungsgericht ganz ausdrücklich –, dass das Bewusstsein, dass das Gespür für das Lebensrecht des Kindes auch im allgemeinen Bewusstsein der Gesellschaft erhalten bleiben muss. Dafür ist das Werbeverbot ein wesentlicher Faktor; denn es geht keineswegs nur um die Frage sachlicher Information auf den Homepages der Ärzte. Darum geht es nicht. Das sind immer die Beispiele, die gebracht werden. Aber es geht um viel mehr. Mit der kompletten Streichung von § 219a ermöglichen wir auch Werbung, proaktive Werbung im Internet oder möglicherweise auch in Zeitschriften. Und das suggeriert dann eben, dass es um eine ganz normale ärztliche Behandlung geht, bei der es nur um das Wohl und Wehe der Patientin, des Patienten geht. Genau das, lieber Herr Bundesminister Buschmann, ist der Unterschied. Genau diese zusätzliche Aussage, die in der Werbung, die in der Kombination von Angebot und Information liegt, ist das, was sich dann hinterher auch auf das allgemeine Bewusstsein auswirkt. Das Narrativ, dass es hier ein Defizit an Informationen gäbe, ist falsch; es ist Unsinn. Denn die Realität ist doch, dass jede Frau jede Information im Netz oder an anderer Stelle frei zugänglich finden kann. Das ist auch in Ordnung so, dagegen spricht überhaupt nichts. Geben Sie doch einmal die Suchbegriffe „Abtreibung“ oder „ungewollt schwanger“ bei Google ein. Sie kriegen alle Informationen über Methoden, über die Entwicklung des Kindes und alles, was dazugehört. Wenn es hier ein Defizit gäbe, dann hätte der Bundesgesundheitsminister es in der Hand, zum Beispiel das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung noch besser zu machen. Deren Homepage ist immer einer der ersten Treffer, wenn Sie eine Google-Suche machen. Das ist auch völlig in Ordnung so. Das heißt, dass jede Information ganz leicht zugänglich ist. Es ist offenbar falsch, dass relevante Informationen vorenthalten würden. Wir haben an einem anderen Punkt keinen Dissens: Ärzte und Ärztinnen müssen im Rahmen der Beratungslösung oder bei einer Indikation ohne strafrechtliches Risiko Schwangerschaftsabbrüche durchführen können. Es gehört zum Konzept der offenen Beratung, dass dann, wenn sich die Frau für den Abbruch entscheidet, dieser auch durchgeführt und medizinisch korrekt umgesetzt wird. Das setzt voraus, dass es auch Ärzte gibt, die das machen. Das ist völlig in Ordnung. Aber es ist auch zumutbar, dass Arztpraxen bei einem Konflikt, bei dem Grundrechte auf beiden Seiten auszugleichen sind, auf Werbung verzichten und nur den Weg über andere Ärzte und über die Beratungsstellen statt über offene Werbung gehen. Das ist ein sehr, sehr kleiner Eingriff in die Berufsfreiheit und mit Sicherheit verfassungsgemäß. Wir lehnen es außerdem ab, dass Sie mit dem Gesetzentwurf rechtskräftige Urteile seit Oktober 1990 pauschal kassieren wollen. Anscheinend wurde nicht einmal überprüft – jedenfalls steht nichts dazu in der Gesetzesbegründung –, welche Fälle das waren und ob sie denn dann nach den neuen Regeln überhaupt straffrei wären. Es kommt bei gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen durchaus immer mal wieder vor, dass Handlungen, die früher strafrechtlich sanktioniert wurden, nicht mehr für strafrechtlich relevant gehalten werden. Trotzdem dürfen dann rechtskräftige Urteile nicht einfach aufgehoben werden. Da gibt es eine sehr, sehr hohe Hürde. Da geht es zum Beispiel um nationalsozialistisches Unrecht, SED-Unrecht oder wie in letzter Zeit um Verurteilungen nach § 175 StGB. Das waren Ausnahmen, die Urteilsaufhebungen gerechtfertigt haben, aber damit kann § 219a nun sicherlich nicht verglichen werden. Diese Norm wurde unter verschiedenen Regierungen einschließlich der sozialliberalen Koalition und auch unter Rot-Grün nicht angetastet. Sie wurde durchgehend beibehalten. Wir können hier somit sicherlich nicht sagen, dass ein solches Unrecht vergleichbar ist mit den Urteilen, die kassiert werden können. Wir wissen, dass Frauen sich die Entscheidung nicht leicht machen. Wir sollten sie in dieser Entscheidung unterstützen, ihnen helfen, am besten so, dass wir sie ermutigen, sich für das Kind zu entscheiden. In jedem Fall sollten wir helfen, unterstützen und Verständnis zeigen. Für uns heißt das heute, dass wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Danke schön.