Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Etwa 230 Millionen Menschen haben unter der nationalsozialistischen Besatzung und dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg gelitten. Eine unfassbare Zahl und ein unfassbares menschliches Leid. Gewaltsam errichteten die Nationalsozialisten in weiten Teilen Europas ein verbrecherisches Regime und fügten Ländern und deren Bevölkerungen mit Krieg, Besatzung, Ausbeutung, Hunger, Misshandlung, Zwangsarbeit, Kulturzerstörung, Deportation, Mord und Holocaust unermessliches Leid zu. Wir Deutschen, von deren Land diese Gewalt ausging, stehen ungebrochen in der Verantwortung – moralisch wie politisch; da haben Sie recht, Frau Staatsministerin –, der Opfer würdig zu gedenken, die Verbrechen aufzuarbeiten und dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Deutschland hat eine gute und kritische Erinnerungskultur, meine ich. Wir leisten viel. Wir haben in unserem Land eine vielfältige Gedenkstättenlandschaft und eine solide, mannigfaltige Bildungsarbeit, die an vielen Orten und von vielen sehr, sehr engagierten Bürgerinnen und Bürgern ehrenamtlich, aber auch hauptamtlich getragen wird. Bei all dem, was man immer und überall optimieren kann, und bei allen Herausforderungen, denen man immer neu begegnen muss, möchte ich doch sagen: Wir dürfen stolz sein auf unsere Erinnerungskultur. Herzlichen Dank all denen, die dafür arbeiten! Dennoch: Es gibt Lücken. So ist außerhalb der Wissenschaft das Ausmaß der Verbrechen, beispielsweise was die Besatzungsherrschaft der Nationalsozialisten betrifft, doch in weiten Teilen der Gesellschaft wenig bekannt. Gerade deshalb hat der Deutsche Bundestag in der vergangenen Wahlperiode nach intensiver Diskussion die Errichtung eines Dokumentationszentrums „Zweiter Weltkrieg und deutsche Besatzungsherrschaft in Europa“ beschlossen. Liebe Frau Kollegin Bär, gerade jetzt ist es doch wichtig, dieses Thema aufzuarbeiten, gerade im Hinblick auf die osteuropäischen Länder, darauf, was wir in der Ukraine, was wir in Belarus, was wir in Russland den Menschen angetan haben. Ich nehme Ihre Kritik ernst; aber wir müssen noch einmal darüber reden. Ein Stück weit habe ich einfach nicht verstanden, was Sie wollen. Heute liegt ein Realisierungsvorschlag vor, ein grobes Konzept für dieses neue Dokumentationszentrum, erarbeitet unter der Federführung des Deutschen Historischen Museums und unter Mitwirkung zahlreicher Expertinnen und Experten. Diesen Expertinnen und Experten und dem DHM möchte ich persönlich, aber auch im Namen der SPD-Fraktion herzlichen Dank sagen. Wir wollen, dass dieses Zentrum ein Ort wird, an dem die Geschichte der deutschen Besatzungsherrschaft und ihre Folgen für den gesamten Kontinent dargestellt und aufgearbeitet werden. Bei all dem stehen zunächst die Opfer im Mittelpunkt. Es geht aber auch um die Täter und deren menschenverachtende Ideologie, die zu diesen Verbrechen geführt hat. Eine ständige Ausstellung wird sich der Thematik grundsätzlich nähern und das gesamte Besatzungsgebiet umfassen. Ergänzt wird sie durch Wechselausstellungen mit dem Fokus auf historische Kontexte, spezifische Ereignisse und Kontinuitäten bis heute. Zudem verfolgt das Dokumentationszentrum das Ziel der Erforschung der Geschehnisse in den besetzten Ländern; die Erforschung weiter voranzubringen, ist das Ziel. Das Zentrum ist europäisch gedacht. Es soll über ein Fellowship-Programm, Konferenzen, mehrsprachige Publikationen und ein eigenes Archiv die internationale Forschung zusammenbringen. Weiterhin soll ein vielfältiges und niedrigschwelliges Bildungsangebot mit Museumpädagogik für Schülerinnen und Schüler, Fortbildungen, Onlineformaten, einer Bibliothek sowie öffentlichen Veranstaltungen entstehen. Auch ein Ort des Gedenkens soll geschaffen werden. Das haben wir bewusst – ich war nämlich auch dabei – in diesen Antrag hineingenommen. Dieses Gedenken soll natürlich nicht das einzige Gedenken sein, Frau Kollegin Bär. Natürlich muss das Gedenken an den historischen Orten genauso stattfinden; das eine soll doch das andere nicht ersetzen. Aber gerade in einem solchen Zentrum soll es einen Ort des Gedenkens und die Möglichkeit zum Gedenken geben. All das ist ein großes, nicht einfaches Vorhaben, aber ein wichtiges Vorhaben. Klar ist auch, dass das Dokumentationszentrum Parallelen zu bestehenden Gedenkstätten haben wird. Es soll aber nicht deren Konkurrenz, sondern deren Ergänzung sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich meine, das Fundament ist gelegt. Wir haben jetzt die Aufgabe, diesen Realisierungsvorschlag eingehend zu prüfen, im Dialog mit Wissenschaft und Betroffenen zu diskutieren und das Dokumentationszentrum bei seiner Entstehung engagiert zu begleiten. Das ist eine herausfordernde und spannende Aufgabe – das wussten wir von Anfang an – und, ich sage es noch einmal, ein großes Projekt. Die SPD-Fraktion wird diese Aufgabe sehr ernst nehmen. Ich freue mich auf eine gute und intensive Diskussion hier im Bundestag, aber auch weit darüber hinaus. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.