Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir es hier schwarz auf weiß: 140 Milliarden Euro neue Schulden. Wenn wir die Schulden aus dem Sondervermögen noch dazurechnen würden – das wäre aber nicht ganz richtig –, dann hätten wir leider wieder einen Schuldenrekord. Herr Lindner, Sie hätten sich zu Beginn Ihrer Amtsübernahme sicherlich nicht vorstellen können, dass Sie beim Schuldenmachen Ihren Vorgänger noch überholen. Dabei hätte der Ampel die Steuerschätzung zumindest mittelfristig die Möglichkeit gegeben, für Entlastungen der Bürgerinnen und Bürger zu sorgen und auch die Neuverschuldung zu senken. Was erleben wir stattdessen? Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen verteilt die Ampel das Geld der Steuerzahler völlig ungeniert. Die Ausgaben des Bundes steigen noch mal um 12 Milliarden Euro, nur damit jeder etwas von seiner Wunschliste streichen kann. Ich habe mal im Bundesfinanzministerium nachgefragt: Wenn wir schon wegen Corona zusätzliche Schulden – das war ja bis zum zweiten Regierungsentwurf der Inhalt des Haushalts – aufnehmen, wofür sind diese denn alles? Und bei einem guten Teil der Schulden kann man sagen: Haken dran; da besteht ein relativ enger Zusammenhang zur Coronakrise. Auch im Personalhaushalt – darauf haben wir nun mehrfach hingewiesen – wird ordentlich draufgesattelt: brutto fast 10 000 Stellen. Das kann es nicht sein, wenn wir über die Zeitenwende sprechen. Das Wort „Zeitenwende“ scheint zumindest bei den Ampelkoalitionären bisher noch nicht angekommen zu sein; denn die Bundesregierung liefert uns angesichts der aktuellen Krisen und Herausforderungen, auf die wir eine klare Antwort brauchen, leider nur Mittelmäßigkeit. Was hatten Grüne und FDP vor? Sie wollten Schattenhaushalte auflösen, Subventionen streichen, die kalte Progression bekämpfen, den Mittelstandsbauch abflachen, Rücklagen auflösen, Privatisierungserlöse erzielen. All das hatten Sie noch vor Kurzem hier im Bundestag gefordert. Übrig geblieben ist die Einigkeit beim Geldausgeben. Meine Damen und Herren, Anspruch und Wirklichkeit klaffen da doch sehr weit auseinander. Ich will noch einmal erklären, was denn „Zeitenwende“ bedeutet: Man kann nicht so weitermachen wie bisher. Das ist die Definition von „Zeitenwende“. Wir kommen aus einer zweijährigen weltweiten Pandemie, wir erleben die Rückkehr der Inflation, die Wirtschaftsleistung stagniert, und wir haben Krieg in Europa. Und wir erleben Gießkannenpolitik – keine richtige konkrete Entlastung, die bei Bürgerinnen und Bürgern ankommt. Ich will als ein Beispiel nur das 9‑Euro-Ticket nehmen: 2,5 Milliarden Euro, die an dieser Stelle vollkommen verpuffen. So wird man keine Pendler in den ÖPNV bekommen. Da hätten wir dem ÖPNV anders helfen können. Wie wir nach der Gießkannenpolitik 2023 zur Schuldenbremse zurückkommen wollen, ist mir unergründlich. Trotzdem: Wir wollen auch mit dieser Bundesregierung unsere staatspolitische Verantwortung zeigen; das ist heute mehrfach angesprochen worden. Ich bin froh, dass wir uns beim Bundeswehrsondervermögen geeinigt haben; denn die Aufnahme dieser Schulden ist die richtige Antwort auf die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands. Deshalb ist es gerechtfertigt, diese 100 Milliarden Euro zusätzlich als Schulden aufzunehmen. Wir erkennen auch an, dass es in diesem Jahr noch notwendig war, ein letztes, ein wirklich allerletztes Mal die Schuldenbremse auszusetzen. Wir sind mit der Begründung, die wir jetzt gelesen haben, nicht ganz einverstanden. Insbesondere die Frage der Inflation wird jetzt alleine mit der Ukrainekrise beantwortet. Das zeigt an dieser Stelle ein wenig Ihre Scheuklappen. Ich glaube, die Inflation hat mehr Gründe als die Ukrainekrise. Deswegen müssen wir aufpassen, dass wir darauf finanzpolitisch reagieren. Auch wenn Artikel 115 Grundgesetz die Möglichkeit lässt, über die Konjunkturkomponente hinaus Schulden aufzunehmen, heißt das ja nicht automatisch, dass man das so machen muss, dass man also jede Möglichkeit, die geboten wird, auch vollständig ausnutzen muss. Das hätte man anders lösen können. Dann geht es auch darum, dass wir das Finanzgefüge mit den Ländern wieder in den Blick nehmen. Die Länder erwirtschaften schon seit zwei Jahren Überschüsse, während der Bund hohe Schulden aufnimmt. Da hätte ich mir Ansätze gewünscht, wie man dagegen angehen kann. Ich möchte auch etwas zum Thema Stellen ausführen, weil das heute Morgen – Herr Schrodi, vielleicht hören Sie mal zu – wiederholt falsch dargestellt wurde. Wir machen den Vorschlag, 1 Prozent der Stellen einzusparen. Wer unsere Anträge gelesen hat, wird auch bemerkt haben, dass wir zum Beispiel den Zoll – auch wenn das heute mehrfach falsch gesagt wurde – und das BKA von diesen Stelleneinsparungen ausnehmen. Kollege Otto Fricke, du hast dich eben beklagt, dass wir zu wenige Anträge gestellt hätten. Du siehst, diese sind noch nicht mal gelesen worden. Wir wollten euch an dieser Stelle eben nicht überfordern. Wir arbeiten mit mehr Qualität und weniger Quantität. Der letzte Punkt geht in Richtung des Kollegen Schrodi: Die Ampel selbst hat ja den Antrag gestellt, 0,5 Prozent der Stellen in den Ministerien einzusparen. Insofern: Auch da vielleicht mit den Kollegen noch etwas genauer abstimmen. Ja. Wir machen eine solide Politik. So wie sich die Ampelkoalition wahrscheinlich mit den 0,5 Prozent Stellenkürzungen schon mal ein wenig an das Thema herangewagt hat, genau so haben wir uns mit 1 Prozent herangewagt. Wir hätten auch „2 Prozent“ schreiben können. Aber wir sehen an dieser Stelle auch die Realitäten. Es wäre besser gewesen, die Stellen erst gar nicht auszuschreiben oder etwas anderes zu tun. Das hätte man tun können. Das haben Sie nicht getan. Aber es ist ja dann Ihre Entscheidung, wenn Sie die 0,5 Prozent nachher wieder einkassieren. Aber auf der Liste, die mir zur Verfügung gestellt wurde, fand ich auch das Onlinezugangsgesetz mit fast 2 Milliarden Euro – coronabedingt? –, die Registermodernisierung mit 48 Millionen Euro und das „Flottenerneuerungsprogramm Behördenschiffe“ mit 224 Millionen Euro. Da ist schon viel Kreativität beim Schuldenmachen gefragt, um letztendlich alles mit der Coronakrise zu begründen, meine Damen und Herren. Ich glaube, wir hätten an dieser Stelle mehr machen können. – Herr Meyer hat ja eben richtigerweise gesagt, was man hier alles tut –: Wir wollen die kalte Progression abbauen, die Energiepreispauschale auch für Rentner und Studenten einführen, den Familienzuschuss auf 200 Euro verdoppeln, einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende schaffen. Und wie finanzieren wir das? Dafür muss jetzt die Rücklage eingesetzt werden. Sie ist nicht für zukünftige neue Aufgaben gedacht, sondern wir müssen sie jetzt einsetzen und den Bürgerinnen und Bürgern das angesparte Geld zurückgeben. Weil Sie das eben so ausdrücklich gesagt haben, gehe ich davon aus, dass nicht nur Sie unserem Entschließungsantrag gleich zustimmen werden. Herr Lindner, Sie haben jetzt die schwere Aufgabe, nächstes Jahr tatsächlich die Schuldenbremse einzuhalten. Das heißt, das ist ja gar nicht nächstes Jahr. Im Grunde ist der Haushalt ja schon fast fertig. Wir sind darauf gespannt, wie das funktionieren kann. Wir sehen den Druck: Wenn ich sehe, dass Herr Heil in den letzten Tagen und heute Morgen Herr Rudolph und Herr Kindler schon wieder Forderungen an den neuen Haushalt gestellt haben, der ja noch gar nicht veröffentlicht ist – Herr Audretsch bejubelt ja schon das Aus für die Schuldenbremse auf europäischer Ebene –, dann weiß ich, dass es eine ganz schwierige Aufgabe wird, das auch tatsächlich durchzuhalten. Wir wollen das machen. Sie haben es letztens noch mal wiederholt. Für Sie gilt: Lieber neue Wahlen als neue Schulden. Dann warten wir mal ab. Danke schön.