Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wir erleben eine denkwürdige Haushaltswoche – wieder mit einem Bundeshaushalt in Rekordgrößenordnung, diesmal in Höhe von annähernd 500 Milliarden Euro – in einer ebenso denkwürdigen Zeit, in einer Zeitenwendezeit, wie der Bundeskanzler zu Recht betont hat: Coronapandemie, Klimawandel, Rekordinflation – die höchste seit 40 Jahren – und Ukrainekrieg. Von der Zeitenwende, denkt man, müsste man in Ihrem Haushalt auch sehr deutlich etwas merken. Man merkt aber nur etwas auf der Einnahmeseite – oder sagen wir besser: bei den fehlenden Einnahmen –, nämlich dass Sie mit den Schulden in Rekordhöhe nach oben wandern. Konsequent müssten Sie als verantwortliche Haushälter und als verantwortliche Finanzer, Herr Minister Lindner, eigentlich auf der Ausgabenseite arbeiten. Selbst vor dem Ukrainekrieg und noch nicht mal in Ansehung der vollen Inflationsgrößenordnung haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, alle Ausgaben auf den Prüfstand zu stellen, und Sie haben auch vereinbart, im Rahmen des Haushaltsaufstellungsverfahrens Ausgabenkürzungen vorzunehmen – eine richtige Vorgabe, wie wir finden; nennenswerte Priorisierungen oder Kürzungen sind in Ihrem Haushalt allerdings nicht erkennbar. Im Gegenteil: Sie satteln einfach nur drauf – netto 6 000 zusätzliche Stellen im Personalbereich. Darüber könnte man an der einen oder anderen Stelle noch diskutieren. Aber Sie lassen es sich auch selbst gut gehen. Sie und wir alle diskutieren darüber, ob wir hier das Parlament verkleinern. Sie machen es sich selber in der Regierung richtig fett mit der Rekordzahl von 37 Parlamentarischen Staatssekretären. In dieser Größenordnung hat das bisher noch keine Bundesregierung geschafft. Ihre Fortschrittskoalition setzt auch in anderen Feldern Maßstäbe. Sie sind gestartet mit reichlich zusätzlichen Beamten an der Spitze der Ministerien in den höchsten Besoldungsstufen. Vor vier Jahren haben Sie der alten, der Großen Koalition, als wir 200 Stellen neu aufgebaut haben, vorgeworfen: „Wer schon so anfängt“ – das sagte Otto Fricke, der Haushaltssprecher der FDP – „macht am Ende aus einer schwarzen Null ein schwarzes Loch.“ Der Satz war ja gar nicht so falsch. Aber er trifft auf Sie noch viel härter zu. Sie bauen jetzt 324 neue Stellen – Topstellen – in den Ministerien auf. Das ist deutlich mehr als unter allen Vorgängerregierungen. Sie reden von „Zeitenwende“, aber Sie wenden nichts in Ihrem Haushalt. Im Kernhaushalt beträgt der Verschuldungsanteil 140 Milliarden Euro. Wir haben gemeinsam – dafür sage ich an dieser Stelle herzlichen Dank; das flechte ich gerne ein – das „Sondervermögen Bundeswehr“ beschlossen: 100 Milliarden neue Schulden. Und dann haben Sie noch die 60 Milliarden Euro Diebesgut aus der letzten Wahlperiode in Form einer Kreditermächtigung übernommen. Wenn man das aufaddiert, gelangt man zu dem Ergebnis: 300 Milliarden Euro Schulden. Ja, die 60 Milliarden Euro müssen wir bei Ihnen ehrlicherweise hineinrechnen. Es sind also 300 Milliarden Euro Schulden, und das ist der absolute Rekord bisher. Dann wollen Sie viele Projekte wie das Bürgergeld, die Kindergrundsicherung und das Klimageld, das Herr Heil jetzt ins Gespräch bringt, umsetzen. Das ist alles im Haushalt noch nicht abgebildet. Da sind wir sehr gespannt. Aber das Wichtigste ist eigentlich – und das ist das größte und bemerkenswerteste Versäumnis –: Sie haben für den ganzen Bereich der Sozialversicherung keine wirkliche Vorsorge getroffen. Das wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten das drückendste Problem werden. Wir haben in diesem Land Vollbeschäftigung, und wir haben mit 45 Millionen Beschäftigten, die in die Sozialkassen einzahlen, auch Rekordbeschäftigung. Trotzdem sind wir nicht in der Lage, daraus die Rente zu finanzieren. Wir können die Krankenkassen nicht finanzieren, und wir können auch die Pflege nicht finanzieren. – Sie brauchen gar nicht so zu brüllen, Herr Dürr. Ich sage das durchaus selbstkritisch: Auch wir haben in der letzten Großen Koalition dieses Problem geschoben. Der Unterschied ist nur folgender: Ihr Bundeskanzler, der heute nicht hier ist, hat mit diesem Thema Wahlkampf gemacht. Er hat Respekt gefordert bzw. den Wählern Respekt angeboten. Ihre Plakate klebten in der ganzen Republik, darauf Scholz und die Aussage: Ich bin der Kanzler für sichere Renten. – Sie haben bei der Sicherheit der Renten für gar nichts vorgesorgt. Sie haben nur gesagt: Das Rentenniveau bleibt das gleiche, an den Beiträgen ändern wir nichts, und das Rentenalter ändern wir auch nicht. – Wie wollen Sie das Problem dann lösen? Das Problem können Sie nur lösen, indem Sie immer mehr Steuergelder in die Rente schaufeln. Sie haben überhaupt keine Vorsorge getroffen, um dieses Kernthema irgendwie zu bewältigen. Das ist Unverantwortlichkeit par excellence in der Haushaltspolitik; so ist das einzuordnen. Wir werden Sie in Zukunft regelmäßig daran erinnern und auch daran messen. Wenn dieser Kanzler Respekt gegenüber seinen Wählern hätte, dann müsste er sich ganz zügig und grundlegend des Themas „Reformierung der Sozialversicherung“ annehmen. Vorletzter Punkt: Entlastungspakete. Dafür wollen Sie sich ja feiern lassen, möglicherweise auch heute. Ihre Entlastungspakete funktionieren aber nicht nach dem Motto, dass Sie da entlasten, wo es wirklich zielgenau erforderlich wäre, da, wo die Belastungen am größten sind, sondern Sie entlasten so, dass jeder von Ihren Ampelpartnern, jede Ampelpartei, ein bisschen was kriegt – der eine dies, der andere das –, und am Ende sind Sie fröhlich. Nach der zielgerichteten Entlastung der Bürger wird nicht gefragt, und die findet auch nicht statt. Dies ist im Kern sogar ungerecht. Deswegen fordern wir, dass auch Pendler in diesen Paketen adäquat Berücksichtigung finden, genauso Rentner und Studenten. Die haben die gleichen Belastungen, und die haben genauso Entlastung von Ihnen zu erwarten. Der letzte Punkt. Sie sprechen über diese Entlastungen immer mit so einer gönnerhaften Attitüde: „Jetzt geben wir den Bürgern dies und das und vielleicht auch noch ein bisschen mehr“, und dann wird über dies und jenes diskutiert. Sie haben im Moment, in der jetzigen Situation, massiv Mehreinnahmen. Der Finanzminister hat hier noch vor ein paar Wochen erklärt, das ginge alles nicht; wenn die Leute das Geld an der einen Stelle nicht hätten, dann würden sie es an der anderen Stelle nicht ausgeben. Wir sehen doch jetzt an den Steuerschätzungen sehr deutlich, dass laufend steigende Steuereinnahmen auf Sie zufließen. Sie haben zusätzliche Einnahmen aus der Umsatzsteuer; im Zweijahresvergleich sind das Steigerungen um 30 Prozent gegenüber der Vor-Corona-Zeit. Sie haben zusätzliche Einnahmen, Herr Lindner, aus dem CO2-Emissionshandel, und zwar dem europäischen wie dem nationalen. Wegen der kalten Progression wandern die Leute im Steuertarif durch die Lohnerhöhung automatisch nach oben; gleichzeitig wird ihnen das alles weggefressen durch die Inflation. Durch die kalte Progression haben Sie doch Mehreinnahmen; das können Sie doch gar nicht bestreiten. Sie werden also reichlich Mehreinnahmen haben, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir erwarten von Ihnen nicht, dass Sie gönnerhaft irgendwas zurückgeben. Aber wir erwarten von Ihnen, dass Sie den Menschen das zurückgeben, was Sie ihnen vorher durch höhere Steuern und Abgaben aus der Tasche gezogen haben. Das muss sein! Besten Dank.