Wir werden hier im Deutschen Bundestag, so schnell es geht, handeln, um diesen Beitritt zu ermöglichen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Merz, ich frage mich, warum Ihre Reden in diesen Generaldebatten eigentlich immer beginnen wie Bierzeltreden. Ich finde das der Debatte einfach nicht angemessen. Wir sind hier der Deutsche Bundestag. Wir tragen hier Verantwortung für dieses Land mitten in Europa in einer Zeit, in der der Frieden in Europa so sehr herausgefordert wird wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Es ist unangemessen, so zu beginnen. Es ist angemessen, mit dem zu beginnen, was hier wirklich vor uns liegt. Wir sind in einer Zeit, in der es die Europäische Union so dringend braucht wie nie zuvor. Wir sind in einer Zeit, in der es europäische Einigkeit, Geschlossenheit und Entschlossenheit so dringend braucht wie nie zuvor. Angesichts der Aggression von Putin, angesichts eines Krieges gegen die Ukraine, der mit aller Brutalität geführt wird, ist es so wichtig und richtig, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union hier gemeinsam und geschlossen stehen. Ja, es sind keine einfachen Entscheidungen, die wir in diesen Tagen treffen müssen, und ich verstehe jeden, der angesichts dieser Entscheidungen mit sich ringt. Aber: Wenn man sich ernsthaft mit dem auseinandersetzt, was da in der Ukraine gerade passiert, dann kann Nichthandeln keine Option sein. Denn Nichthandeln heißt, weiter zuzulassen, was in Butscha, was in Mariupol und was in vielen anderen Orten in der Ukraine täglich passiert. Nicht zu handeln, heißt, einen Krieg zuzulassen, der keine Grenzen kennt, einen Krieg zuzulassen, in dem Folter und Vergewaltigung Mittel des Krieges gegen die Menschen in der Ukraine sind, einen Krieg zuzulassen, in dem nach dem Rückzug der russischen Truppen sichtbar wird, dass die Straßen mit Leichen übersät sind. Diesen Krieg zuzulassen, hieße, weiter die Verschleppung von Kriegsgefangenen nach Russland zuzulassen, mit einem ungewissen Schicksal. Diesen Krieg zuzulassen, hieße, dass weiter Kinder von ihren Eltern getrennt werden. Und: Diesen Krieg zuzulassen, hieße auch, weiterhin einen Präsidenten machen zu lassen, der selbst den globalen Hunger, selbst die Versorgung der ärmsten Länder dieser Welt mit Nahrungsmitteln zu einem Mittel seines Krieges gegen den Rest der Welt gemacht hat. Da ist es wichtig und richtig, dass wir dem gemeinsam ein Stoppzeichen entgegensetzen. Es ist unsere Aufgabe, das zu tun. Und es war so wichtig, dass die deutsche Außenministerin in der vergangenen Woche in Kiew für die ganze Bundesregierung noch einmal deutlich gemacht hat: Wir arbeiten jeden Tag an weiteren Maßnahmen, an noch mehr Unterstützung für die Ukraine. Unsere Botschaft an Putin ist: Wir werden niemals aufhören, die Ukraine zu unterstützen. Unsere Unterstützung gilt, solange sie notwendig ist. Ja, das heißt Lieferung von schweren Waffen; denn die Ukraine muss sich verteidigen können. Und das heißt, weitere wirtschaftliche Sanktionspakete zu beschließen. Fünf hat die Europäische Union schon geschafft, fünf, mit denen wir schnell, entschlossen und konsequent Russland, soweit es geht, im globalen Handel isoliert haben. Jetzt steht ein sechstes Sanktionspaket an, eines, mit dem wir weitere russische Banken vom Finanzsystem abkoppeln werden, und es steht auch an, dass sich die Europäische Union auf einen Weg für ein Ölembargo einigt; denn die Abkopplung von fossilen Importen aus Russland ist das stärkste Instrument, das wir Russland wirtschaftlich entgegensetzen können. Ja, es ist auch eine Zeit, in der die Europäische Union gezeigt hat, was sie kann. Sie hat gezeigt, dass sie Grenzen öffnen kann. Sie hat gezeigt, dass es möglich ist, in so einer Krise die Menschen aus der Ukraine hier aufzunehmen, ihnen Schutz zu bieten: einfach, unbürokratisch, schnell, unkompliziert. Ich finde, das muss der Maßstab auch dann sein, wenn Menschen aus anderen Regionen der Welt vor Krieg, Terror und Folter zu uns fliehen. Dann muss die Europäische Union diesen Maßstab auch zum Maßstab ihres Handelns machen. Ja, wir müssen die Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union unterstützen. Ich bin sehr froh, dass der Deutsche Bundestag in der letzten Sitzungswoche dieses Signal gemeinsam und so entschlossen ausgesendet hat. Denn die Europäische Union steht gerade jetzt für das Gegenteil von dem, wofür Russland steht. Die Europäische Union ist ein Projekt des Friedens, eine Gemeinschaft des Rechts und eine Gemeinschaft gemeinsamer Werte. Für uns sind Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte das Fundament, auf dem wir die Europäische Union aufgebaut haben; und das müssen wir jetzt umso dringender verteidigen. Angesichts der russischen Aggression stehen wir auch in Sicherheitsfragen geschlossener zusammen denn je. Deshalb freue ich mich über die Entscheidung von Finnland und Schweden, jetzt der NATO, jetzt einem gemeinsamen Sicherheitsbündnis beizutreten. Wir werden als Ampelfraktionen auch jetzt, in dieser Zeit, mehr in unsere gemeinsame Sicherheit investieren. Aber, Herr Merz, es geht um gemeinsame Sicherheit, und deswegen finde ich es völlig unverständlich, dass Sie ausgerechnet in dieser Zeit als Unionsfraktion aus einer Grundgesetzänderung, die dem Deutschen Bundestag vorliegt, das Bekenntnis zur Stärkung der Bündnisfähigkeit streichen wollen. Was ist das für ein Signal an die NATO-Partner/-innen? Was ist das für ein Signal an die Länder, die gerade Mitglied der NATO werden wollen, dass Sie das, worauf wir in der NATO unsere kollektive Sicherheit begründet haben, aus dieser Grundgesetzänderung streichen wollen? Sicherheit im 21. Jahrhundert denkt man nicht mehr national, sondern gemeinsam. Es ist das Schicksal dieser Generation, die heute politische Verantwortung trägt, dass wir zwei Krisen gleichzeitig lösen müssen. Auf der einen Seite müssen wir die Frage der Sicherheit in Europa beantworten, und auf der anderen Seite nimmt die Klimakrise mit unbarmherziger Geschwindigkeit zu. Der Blick nach Indien und Pakistan, wo Menschen seit über zwei Monaten unter beispielloser Hitze leiden, zeigt, wie real die Klimakrise jetzt schon ist, wie sehr der Planet schon jetzt unter dem leidet, was wir durch unser Handeln in den letzten Jahrzehnten verursacht haben. Deswegen ist es jetzt so dringend, alles dafür zu tun, hier umzusteuern. Da passen unsere Antworten sogar zusammen; denn die Frage der Energiesouveränität von Europa ist gleichzeitig auch eine Frage der Souveränität und Unabhängigkeit von den Fossilen. Diese Frage müssen auch Sie als Union beantworten; zu diesem Thema habe ich von Ihnen in Ihrer Rede nichts gehört, Herr Merz. Jetzt ist die Zeit, um gemeinsam in der Europäischen Union zu investieren in den Ausbau der erneuerbaren Energien. Jetzt ist die Zeit, zu investieren in eine Wasserstoffwirtschaft, die Ernst damit macht, dass die Wirtschaft auf eine klimaneutrale Produktion umstellen kann. Jetzt ist die Zeit, zu investieren in einen Ausstieg aus fossilem Gas. Das Thema Energieeffizienz ist ein zentrales Klimathema; aber es ist auch ein zentrales Wirtschaftsthema. Das müssen wir gemeinsam europäisch beantworten. Ja, wer es ernst meint mit der Unabhängigkeit von Russland, der muss auch mit der deutschen Wirtschaft ernsthaft sprechen: Den Glauben, dass wir irgendwann in den nächsten zwei oder drei Jahren wieder damit anfangen können, Gas, Kohle oder Öl aus Russland zu kaufen, den muss ich Ihnen nehmen. Es ist die klare Ansage – stellen Sie sich darauf ein –: Wir werden nie wieder so abhängig von Fossilen aus Russland, wir werden nie wieder so abhängig von Gas aus Russland; und darauf müssen Sie sich vorbereiten. Das heißt etwas für die Lieferketten; ich weiß das. Das wird nicht einfach. Wir können über politische Unterstützung reden; aber glauben Sie nicht daran, dass wir auf diesem Weg noch einmal umkehren werden. Das schulden wir der Sicherheit in Europa, das schulden wir auch der Zukunft unserer Kinder mit Blick auf die Unabhängigkeit von Fossilen. Das ist die gemeinsame Antwort, die Sie und wir zusammen geben müssen.