Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute dürfen wir einen Antrag der Linken diskutieren, der übrigens wortgleich mit dem Antrag der FDP aus dem Jahr 2020 ist. Es wurde lediglich der Veranlagungszeitraum von 2020, auf den sich der FDP-Antrag bezieht, auf die Veranlagungszeiträume 2020, 2021 und 2022 ausgeweitet. Doch leider wird durch mehrmaliges Vortragen und Stellen eines solchen Antrags der Antrag nicht besser, oder um den Kollegen Herbrand von heute zu zitieren: Er ist halt einfach „schlecht gemacht“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, um was geht es in Ihrem Antrag? Es ist ja heute schon viel diskutiert worden, aber vielleicht hilft es, wenn man das Ganze noch mal vorträgt, um aus dieser, ich sage mal, steuerlich lehrreichen Veranstaltung etwas mitzunehmen. Es geht um Steuernachzahlungen für Bezieher von Kurzarbeitergeld. Kurzarbeitergeld ist grundsätzlich als Lohnersatzleistung steuerfrei. Das betrifft zum Beispiel auch das Insolvenzgeld, das Mutterschaftsgeld, Arbeitslosengeld und alle anderen Lohnersatzleistungen, die in § 32b Einkommensteuergesetz genannt werden. Nun haben wir in Deutschland das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Das bedeutet: Wer mehr Geld bekommt, zahlt auch mehr Steuern. Wir haben einen progressiven Steuertarif. Der Steuertarif steigt ab dem Grundfreibetrag progressiv an, sodass die prozentuale Besteuerung ebenfalls ansteigt. Nun ist die Frage, ob diese Lohnersatzleistungen, also auch das Kurzarbeitergeld, weiterhin in diese progressive Berechnung einbezogen werden sollen oder nicht. Der zweite Punkt des Antrages ist die Steuererklärungspflicht nach § 46 Einkommensteuergesetz. Wer über 410 Euro Lohnersatzleistung jährlich bezogen hat, ist verpflichtet, eine entsprechende Steuererklärung abzugeben. Das betrifft auch die Bezieher von Kurzarbeitergeld. Jetzt komme ich auf den springenden Punkt. Ihre pauschale Aussage, die Sie auch heute vorgetragen haben, Kollege Görke, es käme zu Steuernachzahlungen und deshalb sei der Progressionsvorbehalt abzuschaffen, stimmt so definitiv nicht. Es kommt eben darauf an: Wenn zum Beispiel ein Arbeitnehmer über zwei oder drei Monate zu 100 Prozent in Kurzarbeit war und in den anderen Monaten voll gearbeitet hat, dann ist in den Monaten, in denen er voll gearbeitet hat, überdurchschnittlich Lohnsteuer abgezogen worden, in diesem Fall erhält er Steuern zurück. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Wenn man weniger Kurzarbeit hatte, also zum Beispiel 30 Prozent, dann wird es durch den Progressionsvorbehalt zu einer Steuernachzahlung kommen. Also, es kommt auf den Einzelfall an. Wenn jemand das gesamte Jahr zu 100 Prozent in Kurzarbeit war, wird er keine Steuern zahlen. Deswegen will ich sagen: Ihre Aussage ist definitiv falsch. Sie fordern doch immer eine gerechte Besteuerung. Jetzt stellen Sie sich einmal vor: Ein Ehegatte ist in Kurzarbeit, der andere Ehegatte hat Vermietungseinkünfte und ist nicht in Kurzarbeit. Wie wollen Sie es rechtfertigen, dass der Ehegatte, der voll arbeitet und zum Beispiel Vermietungseinkünfte hat, geringer besteuert wird, weil man die Einkünfte aus der Kurzarbeit aus dem Progressionsvorbehalt herausnimmt? Also das ist – der Kollege Dr. Meister hat es schon gesagt – mit Ihrer Ansicht von einer gerechten Besteuerung überhaupt nicht vereinbar. Schauen Sie sich einmal § 32b EStG wirklich in Gänze an. Sie haben bloß den ersten Buchstaben gelesen, § 32b EStG hat aber mehrere Buchstaben, die Buchstaben a bis k. Da sind zum Beispiel das Mutterschaftsgeld und das Elterngeld drin. Und diese Lohnersatzlistungen lassen Sie vollkommen außer Betracht. Also ich weiß nicht, wie Sie es rechtfertigen wollen, das Kurzarbeitergeld vom Progressionsvorbehalt auszunehmen. Denn wenn Sie so etwas machen sollten, was sagen Sie dann den Kranken, was sagen Sie der jungen Familie, in der die Mutter Mutterschaftsgeld bezieht? Sollen die mehr zahlen als derjenige, der in Kurzarbeit ist? Also ich glaube, Ihr Antrag ist völlig falsch und undurchdacht und letztlich auch populistisch. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hinzu kommt die unterschiedliche Berücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge. Das lassen Sie auch komplett weg. Es könnte sogar sein, dass, wenn Sie das Kurzarbeitergeld steuerfrei stellen würden, derjenige, der in Kurzarbeit ist und steuerfreie Bezüge hat, also ohne Progressionsvorbehalt, mehr netto hat als derjenige, der arbeitet – aufgrund der sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen. Was wollen Sie zum Beispiel einer Krankenschwester sagen, die in der Pandemie unendlich viel geleistet hat, die Nachtschichten gemacht hat, die Doppelschichten gefahren hat? Wollen Sie ihr sagen: „Du bist weniger wert, du musst mehr Steuern zahlen“? Das würden Sie mit Ihrem Antrag so machen. Deswegen hat das Bundesverfassungsgericht das Ganze schon im Jahr 1995 als verfassungswidrig erklärt. Eine partielle Abschaffung des Progressionsvorbehalts ist insofern nicht möglich. Ich kann Ihnen aber sagen: Auch wir haben in der letzten Legislaturperiode darüber nachgedacht, diese Lohnersatzleistungen steuerfrei zu stellen. Das ist aber leider an den Kolleginnen und Kollegen der SPD gescheitert. Wenn, dann muss man hier ein komplett neues System aufstellen. Da sind wir auf jeden Fall gesprächsbereit. Aber es muss dann alle Einkünfte betreffen. Sehr gerne. Lieber Kollege Herbrand, erst einmal herzlichen Dank für die Zwischenfrage; sie verlängert meine Redezeit. – Ich habe ja gerade gesagt: Wenn man diese Einkünfte aus dem Progressionsvorbehalt herausnehmen will, dann bräuchte man ein komplett neues System. Wenn man sie nur einfach herausnehmen und steuerfrei machen würde, dann, glaube ich, wäre die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht gegeben, weil dann eben die Ungerechtigkeiten da sind. Wenn man diese nicht will, dann muss man sich ein neues System überlegen, das auch die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit widerspiegelt. Wie gesagt, da sind wir gesprächsbereit. Wir haben auch darüber nachgedacht, gerade in der Pandemie, auch im Zuge Ihres Antrages 2020, wie man ein solches System machen könnte. Hier sind wir in den Gesprächen zu den Jahressteuergesetzen nicht weitergekommen, aber wir können uns gerne über eine entsprechende Systematik unterhalten. Sie sagen, dass Sie die Bezieher der kleinen und mittleren Einkünfte entlasten wollen. Dazu sage ich Ihnen: Das wollen wir auch. Morgen haben Sie die Gelegenheit dazu. Morgen haben Sie die Gelegenheit, unserem weiter gehenden Antrag zu weiteren Entlastungen von Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zuzustimmen. Ich bin gespannt, was Sie morgen um 9 Uhr machen. Sie werden es als Ampel wahrscheinlich ablehnen, Bezieher kleiner und mittlerer Einkünfte noch weiter zu entlasten. Aber trotzdem lade ich Sie morgen um 9 Uhr zu einer wunderschönen Debatte ein, in der es darum geht, dass wir eben genau dort die Entlastungen machen, wo sie notwendig sind: bei den Menschen, die in der Pandemie viel geleistet haben, die kleinere und mittlere Einkommen haben. Ich bin gespannt, wie Sie morgen abstimmen. Herzlichen Dank.