– Zu Ihnen komme ich gleich noch. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! „Guten Morgen! Oh, und falls wir uns heute nicht mehr sehen, guten Tag, guten Abend und gute Nacht!“ Die meisten von Ihnen dürften jetzt das grinsende Gesicht von Jim Carrey vor Augen haben, der im Film „Die Truman Show“ der Star seiner eigenen Serie ist, ohne davon zu wissen. Wie sollte er auch? Immerhin, so die Story des Films, ist der 29‑jährige Truman bereits als Baby in das Filmsetting quasi eingepflanzt worden. Dieses wurde ihm als Wirklichkeit verkauft, als eine simulierte Realität, die zu bröckeln beginnt, als eines vermeintlich normalen Tages plötzlich ein Scheinwerfer vom Himmel fällt und ihm vor die Füße knallt. Truman beginnt daraufhin, zu zweifeln. Er schaut genau hin und erkennt mehr und mehr, dass das, was er als Wirklichkeit begriffen hatte, purer Schein ist, und er beginnt, erbittert dagegen anzukämpfen. Ziemlich ähnlich gelagert ist die Frage um die Gleichstellung; denn strukturelle Diskriminierung gegenüber Frauen in unserer Gesellschaft ist ein Fakt. Punkt! Denn, werte Kolleginnen und Kollegen, vom Geschlecht hängen natürlich zahlreiche biologische Faktoren ab; aber vom Geschlecht hängen eben weder Wissen noch Können, Talent, Know-how, Neigung oder Interesse ab. Ich sage aber auch ganz klar: Dies ist die Ausgangsbasis für Gleichstellungsarbeit, und wer diese Ausgangsbasis nicht teilt – das habe ich heute aus einigen Wortmeldungen herausgehört –, der erkennt natürlich auch nicht den Sinn und den Nutzen der Maßnahmen, die strukturelle Diskriminierung beseitigen. Wer das alles nicht sehen will, der blickt nur auf eine Kulisse, wie sie die Berge, der Himmel und das Meer in der „Truman Show“ sind. Das ist in der Konsequenz sehr, sehr tragisch, werte Kolleginnen und Kollegen; denn diese fallen ja nicht weg, nur weil man das Problem nicht erkennt und nicht wahrhaben will. Was ist die Konsequenz dieser strukturellen Diskriminierung? Was ist die Konsequenz dieser wirkmächtigen Rollenklischees, die ständig repliziert werden? Die Konsequenz ist, dass wir viele Talente in diesem Land ungenutzt liegen lassen. Ganz deutlich zeigt sich dies mit einem Blick auf die IT- und Technikbranche. 16 Prozent, das ist der Frauenanteil in der IT‑Branche in der Bundesrepublik Deutschland, 18,5 Prozent sind es in der gesamten EU, und das, obgleich diese Branche eine Zukunftsbranche ist und unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Anschlussfähigkeit ganz erheblich davon abhängen, Digitalisierung und Informatik voranzutreiben. Nun ist klar: Es können ja in einem Beruf nur so viele Frauen eingesetzt werden, wie sich in die entsprechende Ausbildung begeben. Also, lassen Sie uns auf die Ingenieurs- und Informatikstudiengänge schauen. Der Anteil an Absolventinnen in der Abschlusskohorte liegt hier in den Ingenieurfächern bei gerade einmal 25 Prozent, im Bereich Informatik bei 21 Prozent. Natürlich muss man auch hier auf die vorherige Stufe der Bildungsbiografie gucken. Auch als Schulfach wird die Informatik von Mädchen weniger häufig auf erhöhtem Anforderungsniveau gewählt als von Jungen. Nun kann man sich aufgrund dieser Datenlage, aufgrund dieser Fakten auch einfach ganz bequem zurücklehnen, so wie es der Herr Ehrhorn eben tut, und sagen: Ja mei, das dürfen doch die Frauen selber wählen. Es wird ihnen doch nicht vorgeschrieben, dass sie Informatik studieren. – Ja, das stimmt vielleicht. Aber es stimmt eben auch, dass Frauen auf dem Weg zu einem solchen Studium und somit auf dem Weg zu einer Karriere in der IT- oder Technikbranche mit ungemein mehr Hindernissen und Stolpersteinen konfrontiert sind als ihre männlichen Weggefährten, liebe Kolleginnen und Kollegen. – Ja, Herr Ehrhorn, den Wirkungszusammenhang, den kann ich Ihnen auch noch erklären. Mädchen erfahren ganz früh, dass es schon irgendwie seltsam ist, wenn sie sich für Technik interessieren, wenn sie gern in der Werkstatt oder am Computerprogramm tüfteln. Es braucht eine hohe innere Antriebskraft und innere Stärke, sich dieser spürbaren Konfrontation zu entziehen und am Interesse für Technik dranzubleiben. Diese Erfahrung machen viele Mädchen und junge Frauen, die sich für eine solche Laufbahn entscheiden. Deshalb ist es unglaublich wichtig, mit dem Abbau derartiger Rollenklischees und Stereotype schon früh im Bildungsprozess anzufangen. Deswegen sind Projekte wie der Girls’ Day, der Boys’ Day, der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen und andere Maßnahmen so wichtige Bausteine auf dem Weg dorthin. Bei all diesen Maßnahmen geht es darum, Kinder allgemein und Mädchen und junge Frauen im Speziellen frühestmöglich abzuholen, sie zu ermutigen und zu unterstützen. Solche Förderprogramme und ‑maßnahmen – das heben die Bundesregierung und der Sachverständigenrat im Gleichstellungsgutachten richtigerweise hervor – können gar nicht früh genug ansetzen. Diese Programme wirken auch; das weiß ich aus eigener Erfahrung. Vor dem Antritt meines Mandats im Herbst 2021 durfte ich an einer technischen Hochschule in der Oberpfalz ein solches Förderprogramm für junge Frauen in MINT-Berufen umsetzen. Ziel dieses Programms war die Stärkung des MINT-Interesses von Schülerinnen in der Abschlussphase und beim Übergang zu einem Studium, also genau dann, wenn die Gefahr besteht, dass es zum Bruch kommt mit dem eigentlichen Interesse. Das Bestärken dieser Schülerinnen in ihrem MINT-Interesse ging aber auch stark einher mit dem Bewusstmachen geschlechtsspezifischer Wirkmechanismen. Vielen der Mädchen, die bei diesem Projekt mitgemacht hatten, knallte ebenso wie Truman Burbank irgendwann plötzlich ein Scheinwerfer vor die Füße. Sie wurden sich bewusst, wie ihre Umwelt auf sie als technikbegeisterte Mädchen reagierte und was das wiederum mit ihnen selbst machte. Dieses Erkennen bestärkte viele von ihnen, ihren Weg in ein technisches Studium oder eine technische Ausbildung auch wirklich umzusetzen. Dass also Projekte wie dieses zu Verbesserungen führen, sieht man auch insgesamt an leichten Aufwüchsen beim Anteil der Frauen in MINT-Studiengängen. Es sind keine großen Sprünge, die sich hier zeigen; aber der Anteil wächst. Er wächst langsam, aber er wächst; denn immerhin geht es darum, lange institutionalisierte Muster und Denkweisen in unserer Gesellschaft aufzubrechen, und das ist eben auch keine leichte Aufgabe, sondern ein langer Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen. Und auch hierbei können wir uns ein Beispiel an einer Frau aus der Naturwissenschaft nehmen: Schon die zweifache Nobelpreisträgerin für Chemie und Physik Marie Curie sagte: Und Gleiches gilt für den Weg der Gleichstellung der Geschlechter. Deshalb lassen wir uns aber nicht aufhalten. Gehen wir weiter! Brechen wir weiterhin Rollenklischees auf und entfesseln damit viele Talente in diesem Land! Vielen herzlichen Dank.