- Bundestagsanalysen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor zwei Jahren hat in Deutschland der erste Supermarkt eröffnet, bei dem es keine Kassierer/-innen mehr gibt. Gezahlt wird einfach per App. Geöffnet ist der Laden rund um die Uhr. Für viele Menschen ist das praktisch: Sie können spontan einkaufen und brauchen nur eine App auf dem Handy. Für Supermärkte ist das günstig: Sie sparen sich das Personal. Doch für uns als Gesellschaft bedeutet dieser technologische Wandel soziale Veränderungen und Umbrüche, vor allen Dingen für die Frauen und für die Gleichberechtigung in Deutschland.
Für uns hier im Hohen Hause bedeutet das: Wir müssen ganz genau hinschauen. Bleiben wir bei dem Beispiel mit dem kontaktlosen Supermarkt. Der Job an der Kasse wird eben oft von Frauen gemacht. Aber was passiert mit diesen Frauen, wenn ihre Arbeitskraft durch Geräte oder Computer ersetzt wird? Oder was passiert mit der älteren Kundin, für die das Plaudern an der Kasse häufig der einzige menschliche Kontakt am Tag ist? Denn wer glaubt, der digitale Wandel sei geschlechterneutral, der liegt falsch. Der Dritte Gleichstellungsbericht zeigt uns genau das auf.
Dank der guten Arbeit der unabhängigen Sachverständigenkommission sehen wir die vielen Dimensionen der Ungerechtigkeit und auch, was sich dringend ändern muss. Die wichtigste Erkenntnis ist aus meiner Sicht folgende: Einerseits spiegelt die digitale Welt die Machtverhältnisse unserer Gesellschaft wider, andererseits schafft sie auch neue Realitäten. Die digitale Welt und die reale Welt beeinflussen sich gegenseitig. Das heißt für uns als SPD-Bundestagsfraktion: Wir müssen weiter daran arbeiten, Strukturen aufzubrechen, die für Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft sorgen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nur so schaffen wir gleichberechtigte Teilhabe in der Technologieentwicklung, bei der Verteilung von Arbeitsplätzen oder bei der Nutzung von sozialen Medien.
Wir müssen auch erkennen, wenn die Digitalisierung Ungerechtigkeiten verfestigt oder sogar verschärft. Denn Diskriminierungen werden häufig in Algorithmen festgeschrieben und sozusagen in Computersprache übersetzt. Wenn in Deutschland die meisten Entwickler und vor allen Dingen auch Designer von Produkten männlich sind, dann gestalten sie die digitalen Produkte oft anhand ihrer eigenen männlichen Lebenswelt. Deshalb sollten wir Unternehmen verpflichten, ihre Algorithmen auf deren Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wie das gelingen kann, zeigt ein Start-up aus meinem Wahlkreis, QuantPi, das mit seiner Arbeit das Ziel hat, die Entscheidungen, die von Algorithmen getroffen werden, für alle nachvollziehbar zu machen. Das ist ein erster Schritt, und mit dieser beeindruckenden Arbeit gelingt es, die Gesellschaft gerechter zu machen.
Wenn wir es jetzt noch schaffen, den Anteil von Frauen in solchen Start-ups zu erhöhen und mehr Frauen den Zugang zu Risikokapital zu ermöglichen, dann kommen wir der Gleichberechtigung wieder ein Stück näher. Deshalb ist es gut, dass wir uns vorgenommen haben, Gründerinnen im Digitalsektor durch Stipendien zu stärken. Auch bei der Verteilung von öffentlichen Geldern, die in die Digitalbranche fließen, müssen wir Gleichstellung immer mitdenken.
Natürlich müssen wir daran arbeiten, dass Mädchen und junge Frauen sich Informatikberufe zutrauen. Ich denke, wir sind uns einig, wie wichtig es ist, dass Programme wie der MINT-Aktionsplan und die Bundesinitiative Klischeefrei weitergeführt werden.
Wir dürfen aber auch die vielen Frauen in den prekären Arbeitsverhältnissen nicht aus dem Blick verlieren. Sie verdienen wenig, leisten aber so viel unsichtbare Arbeit. Dazu gehören die alleinerziehende Mutter, die ihre Putzkraft auf einer Internetplattform anbietet, oder die junge Studentin, die online Nachhilfestunden gibt. Denn viele Dienstleistungen – Kinderbetreuung, Haushaltshilfe, Sprachunterricht – verschieben sich immer stärker in den digitalen Raum. Jobangebote werden von Nutzern online gestellt und selbstständig organisiert. Das macht zwar viele Frauen flexibel, aber es bestehen auch wirklich Gefahren, zum Beispiel die Gefahr, dass die rechtliche und soziale Absicherung nicht mehr greift. Die Frauen hangeln sich von Auftrag zu Auftrag und können es sich einfach nicht leisten, krank zu werden, kranke Kinder zu betreuen oder in den Urlaub zu fahren. Wir müssen dafür sorgen, dass auch auf digitalen Plattformen gute und faire Arbeitsbedingungen herrschen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch die Onlinebewertungen, die auf Internetplattformen geschrieben werden, und Kommentare, die in den sozialen Medien gepostet werden, sind ein Problem. Hier erleben Frauen Hass, Hetze und Sexismus.
Das erlebe ich auch!)
Manche ziehen sich komplett aus dem Internet zurück. Dagegen müssen wir mit guten Beratungsstrukturen und informierten Behörden ankämpfen.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was der Bericht der Sachverständigenkommission klarmacht: Gleicher Zugang für Frauen, gleiche Nutzungsmöglichkeiten für Frauen und gleiche Gestaltungsmöglichkeiten für Frauen müssen immer und überall gelten, und zwar gleichermaßen für den Arbeitsmarkt, das Lernen, die Ausbildung, die Finanzwirtschaft, aber eben auch für digitale Plattformen – einfach immer und überall. Denn Gleichstellungspolitik ist auch Gerechtigkeitspolitik. Das gilt für die analoge wie auch für die digitale Welt, und dafür müssen wir kämpfen.
Vielen Dank.
Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Josephine Ortleb. – Als nächster Redner erhält das Wort Thomas Ehrhorn für die AfD-Fraktion.
Beifall bei der AfD)