Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir treffen heute diese schwierige Entscheidung vor dem Hintergrund zweier ziemlich einfacher Wahrheiten. Eine Wahrheit ist: Niemand von uns kann wirklich vorhersagen, wie sich Corona in diesem Herbst darstellen wird, auch der Gesundheitsminister nicht. – Das ist komplett richtig. Die andere Wahrheit ist: Wir haben den letzten und den vorletzten Coronaherbst verschlafen, wir waren nicht ordentlich vorbereitet, und wir haben deswegen auch die Interessen unserer Bevölkerung nicht ausreichend gut geschützt. – Das darf uns nicht noch einmal passieren, dafür werden wir alle in die Verantwortung genommen. Aber wir sehen heute in dieser Debatte in kondensierter Form, an welchen Punkten auch im letzten und im vorletzten Jahr genau diese Vorsorge gescheitert ist. Im Sommer, im Frühling – jetzt gerade wieder –, wenn die Coronapandemie nicht das wichtigste Thema ist, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nicht komplett auf dieses Thema gerichtet ist, da wird zerredet, da wird Parteitaktik vorgeschoben, da wird darauf vertröstet, dass man noch Zeit hat bis zum Herbst. Und dann ist es wieder zu spät. Deswegen: Schauen wir uns an, was bei dem Versuch, diese Fehler nicht zum dritten Mal in Folge zu machen, heute hier auf dem Tisch liegt. Ich lasse den Stuss von rechts beiseite und lasse auch das impfpolitische Bermudadreieck um Herrn Kubicki, Frau Wagenknecht und Herrn Gysi beiseite. Ich finde, darauf muss man jetzt keine Zeit verschwenden. Schauen wir uns den Unionsantrag an. Der Unionsantrag sagt: gestufter Impfmechanismus. Was steht in unserem Gesetzentwurf? Erst einmal eine Impfpflicht ab 60; diese kann ausgesetzt werden – im Sommer, im Herbst, wenn sie nicht gebraucht wird –, sie kann aber auch zugeschaltet werden. Das ist gestuft. Die Union möchte ein Impfregister. Das Impfregister, Frau Warken, steht bei uns im Gesetzentwurf. Die Union möchte auf der Basis von wissenschaftlichen Daten auch zu den neuen Varianten entscheiden. Das steht bei uns als wissenschaftlicher Bericht für den Herbst genau mit drin. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen Ihrem Antrag und unserem Gesetzentwurf sind so klein; sie erlauben keine Nichtzustimmung von Ihnen. Diese minimalen Unterschiede müssen Sie gerade sprachlich so aufplustern, geradezu zu Klippen erklären, an denen Sie sich hochziehen können, damit Sie die Nichtzustimmung irgendwie begründen können. Herr Frei versucht mit seinem Brief Ihre Kollegen, Herr Merz – Sie waren nicht dabei; die meisten haben aber 16 Jahre regiert –, dazu zu bringen, den Impuls zu unterdrücken, zuzustimmen, damit etwas herauskommt. Ich übersetze das einmal: Sie bitten Ihre Fraktion, den Impuls zu unterdrücken, konstruktiv zu sein. Das ist die DNA der Union. Sie wollen hier der Ampel eins mitgeben – das kann ich verstehen –; aber Sie geben nicht der Ampel eins mit, sondern Sie geben dem ganzen Land eins mit. Sie geben Ihren Leuten in den Ländern und in den Kommunen eins mit. Hendrik Wüst, Klaus Holetschek und auch Daniel Günther, sie alle haben in den letzten Tagen noch einmal gesagt, dass es die Impfplicht braucht. Natürlich können wir jetzt mit Ihnen noch einmal eine Runde drehen; wir können noch einmal über Kompromisse bei der Impfpflicht sprechen. Aber die Zeit läuft davon. Wenn wir in den letzten zwei Jahren irgendetwas gelernt haben, dann ist es, dass man nicht unendlich viel Zeit hat, wenn man im Herbst vorbereitet sein will. Ich gestatte die Zwischenfrage. Vielen Dank für die Frage. – Ich entschuldige mich, wenn der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde das Verfassungsrecht ignorieren. Das tue ich keinesfalls. Wir haben in den letzten Monaten ausführlichst auch mit diversen Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtlern gesprochen. Alle haben gesagt: Letztendlich ist alles, was heute hier zur Abstimmung vorliegt, in irgendeiner Form vor dem Verfassungsgericht argumentierbar. Das ist eine politische Entscheidung. Sie können jetzt hier nicht das Verfassungsrecht vorschieben. Sie müssen wissen: Auch Sie wurden im letzten Herbst von vielen Menschen gewählt – gerade Ihre Partei –, auch von vielen älteren Menschen, die darauf vertrauen, dass, wenn sie im Herbst einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall haben, alles dafür getan wurde, dass das Gesundheitssystem dann nicht überlastet ist und sie ordentlich versorgt werden können. Daran werden auch Sie gemessen werden. Deswegen noch einmal – damit komme ich auch zum Ende –: Das ist eine Entscheidung, bei der man nicht der Ampel eins mitgibt, bei der man nicht der SPD oder Herrn Lauterbach eins mitgibt, sondern bei der man dem ganzen Land eins mitgibt, wenn man jetzt nicht das erkennt, was notwendig ist: Pragmatismus und Konstruktivität. Genauso wie Professor Dr. Ullmann lasse ich mir als Ärztin gern vorwerfen, manchmal zu pragmatisch zu sein. Aber wenn ich mir die letzten zwei Coronajahre anschaue, dann muss ich sagen: Wir brauchen mehr Pragmatismus und nicht weniger.