- Bundestagsanalysen
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Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und der offensichtlichen Kriegsverbrechen fällt es durchaus schwer, über die Kriege der 90er-Jahre im ehemaligen Jugoslawien zu sprechen. Auch damals galt – ich ergänze hier das Zitat von Herrn Trittin von von Clausewitz –: Wenn geschossen wird, statt zu reden, haben Politik und Diplomatie versagt.
Beifall bei der AfD sowie des Abg. Johannes Huber [fraktionslos])
Dass dieses Versagen einen hohen, einen sehr hohen Preis kostet, müssen wir in diesen Tagen schmerzlich als Zuschauer einer fürchterlichen Tragödie in der Ukraine ertragen.
Der Zerfall der Bundesrepublik Jugoslawien führte, wie schon gehört, am 5. März 1992 zur Erklärung der Unabhängigkeit der Republik Bosnien und Herzegowina. Bereits vorher hatten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärt, die von Deutschland und anderen schnell anerkannt wurde. In Slowenien griff die jugoslawische Armee ein, wurde jedoch zurückgeschlagen. Aufgrund der weitgehend ethnischen Homogenität der Bevölkerung in Slowenien kam es hier zu keinen inneren Kämpfen. In Bosnien dagegen, wie zuvor schon in Kroatien, brachen unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung schwere Unruhen aus. Diese führten schließlich in einen grausamen Bürgerkrieg mit wechselnden Beteiligungen der Volksgruppen der Serben, Kroaten und Bosniaken. Schwerste Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen wie ethnische Säuberungen und Massaker an der Zivilbevölkerung fanden auf allen Seiten statt.
Das Massaker von Srebrenica mit circa 8 000 Ermordeten wurde gerichtlich als Genozid an den Bosniaken eingestuft. Dem Verfahren vorausgegangen war eine intensive Untersuchung dieses Massenmordes durch eine internationale unabhängige Organisation. Auch für die Kriegsverbrechen von Butscha und anderen Orten in der Ukraine, die in diesen Tagen uns und die Welt bewegen, ist eine solche unabhängige Untersuchung der einzige Weg, um jenseits der Kriegspropaganda Klarheit über die Verantwortlichkeiten zu erlangen.
Beifall bei der AfD sowie des Abg. Johannes Huber [fraktionslos])
Der Krieg in Bosnien endete schließlich nach robuster Intervention der NATO aus der Luft im Dezember 1995 mit dem Abkommen von Dayton. Die Bilanz der bosnischen Tragödie: mehr als 100 000 Tote, mehr als 2 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, davon 350 000 nach Deutschland, schwer zerstörte Infrastruktur und wirtschaftlicher Niedergang, Millionen von Minen im Land mit schrecklichen Folgen für die Bevölkerung, bleibender Hass und tiefes Misstrauen gegenüber den anderen Volksgruppen.
30 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung sind die Folgen des Krieges noch präsent. Die Segregation der Bevölkerung in den serbischen, kroatischen und bosniakischen Anteil ist allgegenwärtig. Der erwähnte Hass auf die anderen Volksgruppen wurde leider von Generation zu Generation weitergegeben. Auch viele Schulen spielten und spielen dabei eine fatale Rolle, wie ich selbst im Laufe eines Einsatzes im gesamten Bosnien feststellen musste. Der ehemalige Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling kam frustriert zur gleichen Feststellung.
Bosnien-Herzegowina steht immer noch gemäß Dayton-Abkommen unter Überwachung eines Hohen Repräsentanten mit weitreichenden Befugnissen, derzeit des Deutschen Christian Schmidt. Das Abkommen von Dayton, das wichtig war, um 1995 das Blutvergießen zu stoppen, konserviert heute einen dysfunktionalen Staat, der aus zwei Entitäten besteht, zum einen der Föderation der Bosniaken und bosnischen Kroaten und zum anderen der Republik der bosnischen Serben, genannt „Srpska“. Seit der Unabhängigkeit Bosniens gibt es starke Bestrebungen der bosnischen Serben nach staatlicher Unabhängigkeit und der bosnischen Kroaten nach einer dritten Entität. Bisher hat die internationale Gemeinschaft dem nicht nachgegeben.
Bosnien-Herzegowina hat 2016 den Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union gestellt, und die EU hat diesen Antrag auch angenommen. Allerdings ist der Beginn der Beitrittsverhandlungen in weite Ferne gerückt. Der jüngste Bericht der EU spricht in nahezu allen Reformfeldern von keinen oder nur geringen Fortschritten, ja sogar von Rückschritten. Korruption und Organisierte Kriminalität sind dort nach wie vor endemisch. Die Notwendigkeit, wie wir gehört haben, der Verstärkung der EU-Operation Althea spricht Bände. Milorad Dodik, serbisches Mitglied des Staatspräsidiums, verstärkt derzeit offensichtlich seine Bestrebungen für eine Unabhängigkeit der Republik Srpska. Er erhält dazu Unterstützung aus Serbien und aus Russland.
Die Frage, wie der Krieg in der Ukraine nun die Situation in Bosnien und auf dem gesamten Westbalkan beeinflussen wird, ist offen, aber höchst sensitiv. Ich habe Stimmen vernommen, die verlangen, Serbien den Status EU-Kandidat abzuerkennen, weil Serbien sich zum Krieg gegen die Ukraine gegenüber Russland nicht kritisch genug einlässt. Diese Aberkennung wäre fatal und der völlig falsche Weg.
Beifall bei der AfD)
Die Bundesregierung und die EU sind daher dringend aufgerufen, durch eine langfristige Strategie und eine kluge Politik für den gesamten Westbalkan die legitimen Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen, ja, auch die Serbiens, der serbischen Bevölkerung Bosniens und des Kosovo. Der Schlüssel zu einem friedlichen Zusammenleben auf dem Westbalkan liegt nämlich auch in Belgrad.
Werte Kollegen, es gilt gerade jetzt, durch kluge Politik und Diplomatie zu verhindern, dass in der derzeitigen hochemotionalen Lage in Bosnien und im Kosovo einseitige Entscheidungen zur Sezession getroffen werden. Es muss also unser dringendes Interesse sein, ein dadurch mögliches Übergreifen des Konflikts von der Ukraine auf den Westbalkan zu verhindern. Wie gesagt, der Schlüssel dazu liegt in Belgrad. Dazu muss miteinander geredet werden, und es müssen gangbare Kompromisse gefunden werden – es gibt keinen anderen Weg zur Erhaltung des Friedens in Bosnien-Herzegowina und auf dem Westbalkan.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Beifall bei der AfD)
Der nächste Redner in der Debatte: Jens Beeck, FDP-Fraktion.
Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)